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“Küss die Scheiße, du Sau!“

■ Im verflixten siebten Jahr des alternativen Fußballs in Bremen macht sich die Wilde Liga Gedanken um die Zukunft und kürt Vibrator Moskovskaja zum Meister

Dicke Luft im akas in der We-berstrasse. In Meister Proppers Kellerclub drängeln sich Bremens Freizeitkicker zur Meisterschaftsfeier um eine Trophäe, die an Jules Vernes „Nautilus“ erinnert: Ein silberner Ball an einer aufrecht stehenden Schiffsschraube, die auf einem eisernen Steuerrad fußt.

Vibrator Moskovskaja hat sie gewonnen. Zehn Siege, zwei Unentschieden, Meister sind sie damit geworden in der Wilden Liga, Bremens einziger selbst organisierten Spielklasse von Hobby-Kickern.

Marco und Claas sollen als Teamvertreter nun dieses gigantische, zusammengeschweißte Etwas entgegen nehmen. Aber das Ding sieht ganz schön schwer aus. Wie Beckenbauer '74 in München den Cup über dem Kopf schwenken? Ausgeschlossen. „Küss wenigstens die Scheiße, du Sau!“ ruft jemand von hinten. Schließlich würde jeder in dem Raum gerne da vorne stehen. Und jetzt zieren sich diese Vibratoren.

Die Wilde Liga im verflixten siebten Jahr: Alle, die sich im akas zum Bilanz-Ziehen versammelt haben, kennen sich – wenigstens vom Sehen. Der Strubbelkopf von Vibrator Moskovskaja ist da, der so lange Knieprobleme hatte. Da drüben sitzt der flinke Schwarzhaarige vom 1. FCKW und schwatzt bei Bier und Bockwurst mit dem Mittelfeldmotor von Cosmos. Auch die Kicker vom Konditionskombinat drängeln sich um ihren Tisch.

„Bring mal noch eine Viererkette Bier,“ grantelt einer. Darin sind sie spitze, wenn die leeren Flaschen auf dem Tisch als Maßstab taugen. Auf dem Platz lief es dagegen nicht so besonders, grade mal Neunter wurden sie. Woran lag's? „Am Torwart,“ sagt Verteidiger Marc. „Das Spielniveau der anderen ist gestiegen,“ glaubt Mittelfeldmann Thomas. „Und unseres leider nicht.“ „Und es gab kein Kanonenfutter,“ bedauert Marc.

Damit spricht er das Dilemma an, in dem die selbst organisierte Spielklasse steckt. Die Liga stagniert. Jedes Jahr meldeten sich bisher ein paar neue Thekenteams oder Fußball-begeisterte Cliquen im akas und wurden ohne Formalitäten nach dem Austausch von Telefonnummern und Kaltgetränken in die Wilde Liga aufgenommen. Klar, dass es dann zunächst gegen die eingespielten Liga-Mannschaften erst einmal ein paar saftige Niederlagen hagelte. Diesmal sind Neue weggeblieben, die Liga ist auf dreizehn Teams geschrumpft. Und die alten Liga-Hasen fürchten nun, im eigenen Saft zu schmoren. „Es ist schon nett, die Leute nach fünf Jahren zu kennen,“ sagt Marco von Vibrator. „Aber man will auch nicht immer wieder bloß gegen Roter Stern spielen.“

Grund genug für ihn, über Neuerungen nachzudenken. Eine Art wilder Nordpokal schwebt ihm vor, zusammen mit den Kickern aus Oldenburg, die ebenfalls in einer Hobbyliga bolzen. Irgendwer kennt schließlich über fünf Ecken den einen von Karo Oldenburg. Soll der nicht beim Prinz in Bremen arbeiten? So genau weiß das keiner. Profi-Organisatoren, Funktionäre oder Sportdirektoren mit dicken Adressbüchern gibt es in der Liga genauso wenig wie Abseits.

Vielleicht wird also der Nordpokal eine dieser Kneipenideen bleiben, die dann doch niemand umsetzt. Doch das haben vor acht Jahren auch viele gesagt, als in Bremer Kneipen davon getuschelt wurde, dass man doch mal eine Liga selbst organisieren sollte. Und heute heißt es, ganz selbstverständlich: Man sieht sich im Februar – um die nächste Saison vorzubereiten.

Lars Reppesgaard

Wer im nächsten Jahr in der Wilden Liga mitkicken will: Kontakt zur autonomen Spielklasse bekommt man unter Tel.: 354 350 bei Jens-Olaf.

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