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Wozu noch Fußball?    ■ Von Wiglaf Droste

Wer das Fußballspiel liebt, musste seit der Erfindung von „ran “von diesem Gefühl Abschied nehmen. Die Klügeren taten das radikal, in einem schnellen, sauberen Schnitt. Die Romantischeren quälten sich noch einige Zeit über die Runden und träumten von einem Fernsehfußball, der sich nicht mit der Belästigung und Nötigung Unschuldiger verwechselte.

Trost der Untröstlichen wurde durch „ran“ das Fußballstadion: Hier gab es keine Werbeblöcke, hier musste man nicht Beckmann und Kerner erdulden, hier gab es – so schien es – die echte Ware: Fußball, ein Spiel, in dem – wenn es richtig verstanden wird und alles gelingt – Eleganz und Genie die Gesetze elender menschlicher Schwerfälligkeit wenigstens für Sekunden überwinden. Und lecker Pils und Bratwurst winken.

Zum Fan des Live-Fußballs wurde ich durch eine Frau. Ich war 34 und hätte nie gedacht, dass es mir Spaß machen könnte, auf einer Stadiontribüne zu stehen. Wenn aber SIE, eine hohe, schlanke Gestalt, einen Südwester gegen den Unbill des Wetters über das lange, flatternde, rote Haar gestülpt, unter dem intelligente blaue Augen hervorblitzten, auf der Tribüne bangte, hoffte, sich freute, protestierte, jubelte und randalierte, dann wusste ich: Hier ist kein Hooliganismus am trüben Werk. Hier sind Schönheit, Leidenschaft und Glück. Das wollte ich auch. Alles.

Sie war – aus Protest gegen eine Schalke-kontaminierte Kindheit – Anhängerin von Borussia Dortmund. Für mich, der ihretwegen zu Dortmund hielt, war das ein Glück: Mein Initiationsspiel war ein 3:1 gegen Bayern München, jenen Verein, den allein schon wegen des einbalsamiert grienenden Franz Beckenbauer jeder ästhetisch zurechnungsfähige Mensch ablehnen muss.

Es begann ein herrliches Leben. Ich reiste meiner Muse hinterher, wohin sie auch ging. Alle 14 Tage fitschte ich nach Dortmund, Manchester wurde angeflogen, auch Madrid. Wäre aber SIE nicht gewesen, der Fußball hätte mich schon bald nicht mehr gelockt. Bei Dortmunder Heimspielen wurde das Bohei immer größer: Karel Gott sang „Biene Maja“ – das Spiel gegen Werder Bremen endete 1:1. Vor einem Spiel gegen Schalke wurden Bundeswehrsoldaten im Stadion verabschiedet: Die entsprechend erbärmliche Partie ging 0:0 aus. Gegen Bochum – es war das letzte Spiel, das ich mir ansah – hatte die Dortmunder Vereinsführung Jürgen Drews eingeladen. Diese in den Stahlgewittern mallorquinischer Diskotheken völlig ent-ichte Lemure sang „Oh, wie ist das schön, so was hat die Welt noch nicht gesehn!“ Völlig zu Recht verlor Dortmund das Spiel 0:1 – meine Muse aber war längst nicht mehr dort.

Mittlerweile gibt es in Dortmund VIP-Lounges, für die der Verein damit wirbt, dass man dort während der Spiele Geschäfte abwickeln kann. Beckmann und besonders Kerner sind nach „ran“ zu noch größeren Landplagen geworden, die Spiele der Champions League kommentiert u. a. der frühere „ran“-Schreckensschreihals Jörg Dahlmann.

Wozu noch Fußball? Meine Muse ist längst in erfreulichere Gefilde abgewandert. Seit geraumer Zeit folge ich ihr durch die Tiergärten des Landes. Dort gibt es, was aus dem Fußball verschwindet: Schönheit, Leidenschaft, Anmut und Glück.

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