Brasiliens Umweltschützer stoppen Kahlschlaggesetz

■ Die Agrarlobby will im Verbund mit dem sozialdemokratischen Präsidenten eine Totalrodung auf ihren Farmen legalisieren. Öffentlicher Protest verhindert das Gesetz

São Paulo (taz) – Brasiliens UmweltschützerInnen errangen einen wichtigen Etappensieg. Durch eine kurze, aber heftige Kampagne wurde die Regierung Cardoso gezwungen, einen abenteuerlichen Entwurf zur Novelle des Waldgesetzes zurückzuziehen, der eine weit gehende Abholzung Brasiliens legalisiert hätte. „Das Umweltministerium musste schließlich seine windelweiche Haltung aufzugeben“, sagt Adriana Ramos vom Umweltverband „Instituto Socioambiental“. So wurde die Vorlage gerade noch gestoppt, die die mächtige Agrarlobby vor zwei Wochen überraschend lanciert hatte.

Erreichen wollten die konservativen „ruralistas“, die im Kongress überproportional vertreten sind, dass Privatgrundstücke bis zu 25 Hektar vollständig abgeholzt werden können. Auf größeren Ländereien Amazoniens sollte der vorgeschriebene Anteil vom natürlichem Pflanzenbestand von 80 auf 50 Prozent gesenkt werden, im Rest des Landes von 50 auf 20 Prozent. Die ökologisch zweifelhafte Wiederaufforstung mit Eukalyptus oder Pinien war ebenso vorgesehen wie eine Amnestie für all jene, die die alten Bestimmungen missachtet haben. „Wir möchten die Getreideproduktion verdreifachen“, sagt der Abgeordnete Moacir Michelleto, eine treibende Kraft des Coups. „Damit könnten wir Indien oder China beliefern.“

Während vom Amazonas-Regenwald bisher ein Sechstel vernichtet wurde, ist von der Cerrado-Savanne in Zentralbrasilien bereits die Hälfte verschwunden, vom Atlantischen Küstenwald gar 93 Prozent. Zwar hat sich die Zerstörung aller Ökosysteme in den vergangenen Jahren etwas verlangsamt – auch auf Grund schärferer Gesetze. Doch im Cerrado und dem Atlantischen Küstenwald, die zu den weltweit gefährdetsten Landschaften gehören, sind die meisten privaten Ländereien kleiner als 25 Hektar: So wären im südlichen Bundesstaat Santa Catarina mit einem Schlag zwei Drittel des Landes zum Kahlschlag freigegeben. Eine technische Kommission des Umweltrates, in dem neben verschiedensten Regierungsinstanzen auch Umweltverbände vertreten sind, arbeitet seit einem halben Jahr an der Neufassung des Waldgesetzes. Ende September wurde die Höchststrafe für Umweltverbrechen auf etwa 50 Millionen Mark erhöht. Doch die Großgrundbesitzer planen das Rollback: Für ihre Initiative erhielten sie, offenbar als Gegenleistung für die Unterstützung wichtiger Regierungsprojekte, die Rückendeckung des sozialdemokratischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Dessen Vertrauter hatte den Parlamentsentwurf mit ausgemauschelt – am Umweltrat vorbei.

In den kommenden Monaten will das Umweltministerium nun das Waldgesetz öffentlich diskutieren lassen. „Alle betroffenen Sektoren müssen über dieses komplexe Thema nachdenken und ihre Positionen einbringen dürfen,“ fordert dazu Marina Silva von der Arbeiterpartei (PT), die maßgeblich an der Gegenkampagne beteiligt war. Wirtschaftliche Nutzung und Umweltschutz bräuchten kein Gegensatz zu sein. Ein Erfolgsbeispiel seien die Sammlerreservate in ihrer Heimat, „wo wissenschaftliche Kenntnisse mit denen der traditionellen Bevölkerung zusammenfließen“. Über das neue Waldgesetz soll nun im März 2000 entschieden werden. Gerhard Dilger