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Ein „realistisches“ Horrorszenario

Die Feiern zur Rückgabe des Panamakanals leiden in den USA unter einer Chinahysterie, die, obwohl abstrus und monströs, ihresgleichen sucht  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Eigentlich geht der Panamakanal erst am Silvestertag um Mitternacht in die Souveränität Panamas über, die feierliche Übergabe aber findet schon morgen statt. Die USA hatten wegen der Feiern zur Jahrtausendwende um die Vorverlegung gebeten. Die hohen Gäste bleiben dennoch aus. Bill Clinton schickt Jimmy Carter, der 1977 den Vertrag über die Rückgabe des Kanals aushandelte. Al Gore kommt nicht und jetzt hat sogar Madelaine Albright abgesagt.

Um die Rückgabe des Kanals ist es 22 Jahre nach seiner Ratifizierung durch den Senat zum innenpolitischen Streit gekommen. „Die größte Bedrohung des Kanals erwächst aus der Tatsache, dass Panama 1997 einer chinesischen Gesellschaft die Konzession zum Betrieb der Häfen in Balboa und Cristóbal am atlantischen und pazifischen Ende des Kanals auf 25 Jahre überlassen hat“, erklärte Caspar Weinberger, ehedem Reagans Verteidigungsminister.

Clinton machte die Sache nicht besser, als er vor 14 Tagen sagte: „Ich glaube die Chinesen werden sich alle Mühe geben, den Kanal kompetent und fair zu managen“ – eine Äußerung, die er vergangene Woche zurücknehmen musste. Tatsächlich haben die Chinesen mit der Verwaltung des Kanals nämlich nichts zu tun. Bereits seit 10 Jahren verwaltet Panama den Kanal und hat 1997 den Betrieb zweier Häfen an die in Hongkong ansässige Firma Hutchison Whampoa vergeben.

Hutchison Whampoa ist ein multinationaler Konzern, der seinen Profit durch Immobilien, Telekommunikation, Frachtschifffahrt und dem Betrieb von Häfen – 17 sind es weltweit, darunter Englands drei größten – verdient. Vorsitzender ist Li Ka-Sching, dem gute Beziehungen zur Volksrepublik China und zur Volksbefreiungsarmee nachgesagt werden. Von Hutchison Whampoas 500 Angestellten aber, die in Panama die zwei Häfen verwalten werden, ist niemand Chinese. Der Topmanager ist Brite, sein zweiter Mann Amerikaner und 97 Prozent der Angestellten sind Panamaer.

Doch in den USA hat die Auftragsvergabe eine Verschwörungstheorie genährt, die alles bisher da Gewesene in den Schatten stellt. Hutchison Whampoa ist demnach das Trojanische Pferd, das China das Eindringen in die westliche Hemisphäre ermöglicht. Weinberger verweist zum Beleg auf einen Artikel der Hongkonger Zeitung Ming Pao. Da steht, dass die chinesische Marine die Handelsmarine umrüstet, damit deren Schiffe auch Panzer transportieren und zu Landeoperationen eingesetzt werden können. Was China in der westlichen Welt will? Öl. „China, das heute zwei Millionen Barrel Öl verbraucht, wird im Jahr 2009 elf Millionen Barrel brauchen“, sagt Roger Robinson, ehemals Mitglied in Reagans Nationalem Sicherheitsrat. Woher nehmen? Aus Venezuela natürlich, wo die USA den größten Teil ihres Rohöls her bekommen.

Womit man bei der lateinamerikanischen Szene angelangt wäre. „Der Schlüssel ist Venezuela, wo mit Hugo Chavez ein ehemaliger Putschist an die Macht gekommen ist“, so Constantin Menges, unter Reagan CIA-Koordinator für Lateinamerika: „Chavez ist ein linker Aktivist, zeitweise war er bei der Guerilla im benachbarten Kolumbien untergetaucht.“ Und Kolumbien, wichtig wegen seiner Grenze zu Panama, sei im Begriff, seinen Krieg gegen die Drogen zu verlieren. „Schon heute überqueren die kolumbianischen Guerillas ganz nach Belieben die Grenze zu Panama, von wo aus Drogen in die USA verschifft werden“, sagt Menges. Und wenn in Mexiko im Jahr 2000 der neue Präsident gewählt werde, könnte das ganze nördliche Südamerika samt Mittelamerika unter die Herrschaft von Kommunisten und Drogenlords geraten.

Dieses Horrorszenario wird von der geopolitische Strategie Chinas überwölbt, das durch Hutchison Whampoa die Häfen von Vancouver und Balboa kontrolliert und damit den ganzen nordpazifischen Raum umklammert. „Und jetzt baut China auch noch in Brasilien eine Satellitenbodenstation“, ergänzt Rick Fischer, Assistent des Abgeordneten Cox, dessen Ausschuss diesen Sommer den dreibändigen Bericht über den chinesischen Diebstahl amerikanischer Atomgeheimnisse vorlegte. So rundet sich alles zu einem gigantischen Komplott, bei dem Chinesen amerikanische Atomgeheimnisse stehlen, den US-Präsidenten mittels Parteispenden kaufen, sich mit Drogenbossen verbünden und sich anschicken, mittels Containerschiffen die Welt zu erobern.

Für die Aufregung um Hutchison Whampoa gibt es auch eine einfachere Erklärung. Drei amerikanische Firmen hatten sich um den Auftrag zur Verwaltung der Häfen beworben und waren unterlegen. Eine davon war Bechtel Corporation, aus dessen Aufsichtsrat die Crème der Minister und Berater Reagans kamen, darunter Caspar Weinberger.

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