: Nachama sieht „Problem Berlin“
Kein Berliner im Präsidium der Juden. Liberalität als Hindernis
Mit Gelassenheit hat der Vorsitzende der größten Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Andreas Nachama, auf die Tatsache reagiert, dass erstmals in der Nachkriegsgeschichte im Präsidium des Zentralrats der Juden kein Berliner Vertreter sein wird. „Bei Wahlen und auf hoher See ist man in Gottes Hand“, sagte Nachama der taz. Die Berliner Gemeinde ist mit fast 12.000 Gläubigen mit Abstand die größte jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik. Bei der Wahl am Sonntag hatten er sowie die Berlinerin Norma Drimmer die nötige Stimmenzahl verfehlt. Wie Nachama erklärte, gebe es bei den anderen Gemeinden offenbar ein „Problem Berlin“. Die Gemeinde der Hauptstadt gelte als zu liberal und progressiv, da sie reformerischen Tendenzen unter den Juden in Deutschland ein Forum gebe. Deshalb würden – auch wenn sie womöglich gar nicht dafür stünden – Berliner Vertreter nur schwer ins höchste Beschlussgremium der jüdischen Gemeinschaft der Bundesrepublik gewählt.
Die Liberalität der Berliner Gemeinde sei „einer der Hauptanstoßpunkte“ für andere jüdische Gemeinschaften, sagte Nachama. Denn: „Welche Gemeinde in Deutschland ist nicht orthodox?“ Ob es jedoch für die anderen „von Vorteil ist, wenn die größte deutsche Gemeinde nicht vertreten ist, müssen sie selbst beurteilen“.
Nachama zufolge hat man bei anderen Jüdischen Gemeinden den Eindruck, „von Berlin bevormundet zu werden, auch wenn diese Bevormundung nicht von der Führung unserer Gemeinde ausgeht“. Während die Berliner Gemeinde große Veranstaltungen und Institutionen wie die Jüdischen Kulturtage oder die Lauder-Foundation anziehe, schaffe man es andernorts „mit Müh und Not, zehn Männer für einen Gottesdienst zusammenzukriegen“. Das sei hier in Berlin anders. „Da ist es folgerichtig, dass sich die kleineren Gemeinden zusammensetzen und sagen: ‚Denen in Berlin setzen wir was entgegen. Wir sind auch was!‘“ Im Gegensatz zu Berlin gehe es bei anderen Gemeinden in „oft ums nackte Überleben“.
Nachama äußerte sich nur zurückhaltend über die Nachfolge von Ignatz Bubis als Präsidenten des Zentralrates. Beide Kandidaten, Paul Spiegel und Charlotte Knobloch, seien „würdige Vertreter“. Der oder die PräsidentIn müsse in den Jüdischen Gemeinden zuerst „nach innen wirken“ und versuchen, die hohe Zahl neuer Mitglieder zu integrieren. Dabei müsse der oder die NachfolgerIn auch ein „großer Kommunikator“ gegenüber der nichtjüdischen Umwelt sein. Philipp Gessler
Bericht Seite 7
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