Spieglein, Spieglein

In Make up zeigt Daphne Charizani Kräutermasken, Mimikry und die Macht des Lidstrichs  ■ Von Birgit Glombitza

„Es gibt Schlimmeres“, sagt Gabi einmal und meint ihr Gesicht. Katja denkt „es ist soweit o.k.“ über ihr eigenes, betrachtet ihre Lieblingssträhne und summt das Prinzessinnen-Lied aus ihrer Kindheit, als die Mutter sie zum Fasching noch königlich zurechtschminkte. Neulich hat ein Mann Katja einen Klaps auf den Po gegeben. Sie weiß nicht, wie sie das finden soll. „Vielleicht war es ja nett gemeint.“

Hoffnung, Glaube, Sehnsucht zwischen Pickelstift und Mathestunde. Das Radio stößt eine Mischung aus Verkehrslage und Maggi-Suppenküche auf. „Die Dusche ist frei“, muffelt jemand von der Seite. Julchen will, dass man sieht, dass sie eine Frau ist. Deswegen nennt sie sich inzwischen auch „Juli“, trägt nicht mehr nur Schwarz und tupft schließlich noch einen Hauch grüngoldenes Puder auf die Lippen. Dann zündet sie sich eine Zigarette an, hockt sich auf den Schaukelstuhl im Internat-Waschraum und bekennt mit einer etwas kehligeren Stimme als sonst, dass sie sich verknallt hat. Mit Projektion habe das nichts zu tun, fügt sie noch furchtbar ernst hinzu. Da grinst ein Spiegelbild.

Ein anderes malt sich die Lippen rot. Zwischen all diesen privaten Geschäftigkeiten und kleinen egozentrischen Ritualen, mit denen sich die Frauen für die Welt da draußen wappnen, hat die Regisseurin Daphne Charizani die Kamera für ihren Dokumentarfilm Make up aufgebaut. Meist frontal vor den Kachelwänden ihrer Badezimmer abgelichtet, erzählen Mädchen, Frauen, Mütter aus ihrem weiblichen Alltag, ihrer Lust, ihrer Geschichte. Intim und öffentlich zugleich, so dass das Fugengitter hinter ihnen auch zu Vermessungsrastern der Allgemeinheit mutieren kann.

Trotzdem stellt der Film die Portraitierten nie aus. Kein Zoom steigt ihnen ins Gesicht, kein Schnitt zensiert die Sprache, kein Off-Ton reißt ihre Erzählungen an sich. Ununterbrochen läßt Charizani auch die Arbeiterinnen einer Putzkolonne von ihren Schminkgewohnheiten berichten, von den Vorzügen der Symmetrie, der perfekt gezupften Braue, aber auch von dem Misstrauen, das der Schönsten in der Truppe entgegenwehen kann. Und auf einmal ist ein Lidstrich nicht einfach ein Lidstrich. Er kann die verwegene Linie einer selbstbewußten Einzelgängerin sein oder der Schwebebalken, der seine Urheberin über alltäglichen Kleinmut und die Zumutungen unange-nehmer Blicke hinwegträgt.

Make up ist nicht nur ein liebevolles Protokoll aus einzelnen Schminkstuben. Die 33-jährige Regisseurin (selbst internatserfahren) verlässt immer wieder den Anschein der gemalten Gesichter und tritt in den Raum der Inszenierungen und medialen Vorgaben – hinter den Spiegeln. Nicht nur das Kameraauge sitzt häufig hinter dem Badspiegel. Auch die Selbst-Erklärungen der Pudernden entfernen sich vom Offensichtlichen und kreisen bald um frustrierte Mütter, brutale Väter und die Verheißungen der Populär-Mythen aus Funk, Film und Fernsehen.

Die wenig schmeichelhaften Verzerrungen beim Eyelinen, die handfesten Griffe, mit denen ein Lid zur tauglichen Malfläche zurechtgezurrt wird, oder furchterregende Instrumente wie z.B. eine Wimpernklemmen berichten so nicht nur von der Sehnsucht nach Schönheit und Beachtung, sondern vor allem von der alltäglichen Suche nach dem eigenen Bild. Zwischen Mimikry und Karneval, zwischen Kriegsbemalung und Rollenspiel. Ob als Königin oder Aschenputtel, ob als Walküre oder als Bambi.

Make up geht es dabei nicht um eine Entzauberung der individuellen Magie des Spieglein, Spieglein an der Wand. Hier darf sich jede inszenieren wie sie möchte. Schließlich muß man keine Almodovar-Transe sein, um in der Fantasie und in all ihren Umkleidekabinen die eigene Wahrhaftigkeit zu entdecken.

Erstaufführung (in Anwesenheit der Regisseurin): Do, 16. Dezember, 21. 15 Uhr / danach 17. Dezember, 17 Uhr + 20. Dezember, 19 Uhr, jeweils Metropolis