: Vitalistischer Müll
Klatschkolumne als Telefonbuch: Rainald Goetz liest heute aus „Abfall für alle“ ■ Von Tobias Nagl
Schön ist das alles nicht. So hilflos, wie einen das Nachdenken über Pop am Ende der 90er Jahre zurücklässt, steht man auch vor diesem über 800 Seiten umfassenden literarischen Telefonbuch, das als Abfall für alle – Roman eines Jahres so etwas liefert wie den vermeintlich ungeschnittenen, Unmittelbarkeit verheißenden, weil zuerst als Internet-Tagebuch erschienenen, Nachklapp zu Rave, mit dem Rainald Goetz nach einer zehnjährigen Karriere als dann auch in den Feuilletons erfolgreicher Theaterautor literarisch ins Nachtleben zurückgekehrt war.
Wir erinnern uns: Klagenfurt, der Stirnschnitt, Irre, dieses großartige Debüt, in dem ein junger Arzt mit neo-expressionistischem Pathos und Bennscher Präzision zwischen Punk und Psychiatrie um sich schlug. Dann eine Reihe von wütenden Erzählungen im damals noch großfartigen Spex, gespickt mit Fotos von strategisch platzierten Coffeetable-Bändchen und Platten, die ihm erst recht den Ruf eines „Pop“-Autors einbrachten. Mit den neurechten Junker-Söhnchen des „popkulturellen Quintetts“, die in ihren schlechtsitzenden Konfirmanden-Anzügen doch nur aussehen wie Jörg Haider auf Anti-Baby-Pille, so glaubte man bis vor kurzem zumindest, schien seine literarische Kompromisslosigkeit nichts zu tun zu haben – sind doch deren recycelten Feinbilder so opportunistisch zusammengepuzzelt wie ihre Medienkarrieren. Immerhin ging es Goetz um etwas, wenn man auch, anders als bei Meineke, eigentlich nie so recht wußte, um was eigentlich genau.
Zuerst wohl allein ums Sprachmaterial, auch wenn sich das manchmal, wie im RAF-Roman Kontrolliert, ganz schön gefährlich gebärdete. Kritiker, die sich vom radical chic solcher Namen wie Raspe nicht blenden ließen, sahen schon damals darin zuallererst eine spätromantische Sprachmagie am Werke, die ein letztes Mal in der Ekstase des Schreibens Welt und Wort, Poetik und „Praxis“, ganz zur Deckung bringen wollte, immer wieder scheiterte und den Autor im Pathos intellektueller Einsamkeit zurückließ. Virtuoser als alles, was Kracht, Stuckrad-Barre und ihren Kollegen von der Pinneberger Jungen Union je an Abfall aus der Feder geflossen ist, war das allemal. Liest man nun, wie Goetz sich auch noch diesen ahnungslosen Schnöseln anbiedert, könnte einem das große Kotzen kommen; ja, wäre dazu nicht zum Glück schon alles in De:Bug gesagt worden. Unter dem Motto „Saubere Hauptstadt“ lobte man dort kürzlich schlicht verschiedene Prämien für die bitte in Aspik anzuliefernden Gehirne der fünf Privatsparer aus.
An Anbiedereien ist Abfall für alle auch sonst überraschend reich. Zu den korruptesten zählen vielleicht die an das FAZ-Feuilleton, zu den widerlichsten das permanente Bashing von symbolischer Politik und political correctness, das sich feige, wie im großen Millenniums-Penisfechten zwischen Diederichsen, Dath und Goetz im neuesten Spex, relativiert, in dem es sich, gerade ausgesprochen, sofort wieder außerhalb des Politischen situiert – und sich des Applauses von der falschen Seite sicher sein kann. Auch in puncto Männerbündelei steht Goetz dabei seinen neuen Freunden in nichts nach, da hat das inklusionistische Prinzip von Techno wenig geändert. Frauen sollten einfach besser das Maul halten, erst recht, wenn sie Isabelle Graw heißen; schieben sie sich lüstern mit ihren Körpern an den Dichterfürsten heran, dann sind es beim Jetzt-Magazin arbeitende, ständig Unsinn plappernde Schicksen, denen der Hosenstall offen steht.
Ähnelt Goetz physiognomisch immer mehr Luis Trenker, der eben nur von den Bars statt den Bergen gerufen wird, erinnert der planlos-geschäftige Opportunismus an einen anderen Goetz-Helden: Andy Warhol. Den späten allerdings, der auch irgendwann mit Irmela Marcos posierte. Von seinen Qualitäten als Literatur abgesehen, funktionierte ja schon Rave eigentlich wie eine große Society-Klatschkolumne, der nur ein Personenindex fehlte, um die zwischen München, Köln, Hamburg und Berlin nach Erscheinen heißlaufenden Telefone hinsichtlich der Frage zu beruhigen: Krieg ich auch mein Fett weg?
Wo das Terrain von Rave die Nacht war, protokolliert Abfall für alle minutiös den Tag: Telefonate, Faxe, Bücherlisten, Lyrikfragmente, Fernsehsendungen. Und vor allem: die Feuilletons, die Goetz wie ein Junkie verschlingt. Deren Info-Bombardement muss natürlich im Dachstübchen geordnet werden – ein heroisches Setting, das man nicht zuletzt aus Kontrolliert zu genüge kennt. Dabei kommt es allerdings auch zu Szenen wie der folgenden, datiert auf den 2. Mai 1998, 17.59 Uhr, bei denen ein gewisses Kichern kaum zu unterdrü-cken ist: „Unter der Dusche. Plötzlich eine solche HEFTIGKEIT von Gedanken, daß ich es im Herz spürte, ähnlich wie Schmerz, nur netter, irgendwie drängender, erfüllt.“ Ist das noch Büchner? Oder schon D.H. Lawrence? Gar Kinski? Ich weiß es nicht. Für die paar treffenden Beobachtungen und Pointen, die sich in diesem Chaos der Produktion aufstöbern lassen, ist das jedoch einfach viel zu viel vitalistischer Müll.
heute, 21 Uhr, Schauspielhaus-Kantine; Rainald Goetz: „Abfall für alle – Roman eines Jahres“. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999, 864 Seiten, 49,80 Mark
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