: Berliner Wirtschaft duckt sich weg
■ Nur wenige Unternehmen können sagen, ob sie NS-Zwangsarbeiter entschädigt haben. Dabei mussten Hunderttausende schuften – in fast allen Betrieben der Reichshauptstadt
Die Berliner Unternehmer stellen sich nur zögerlich ihrer Verantwortung für das nationalsozialistische Zwangsarbeitersystem. Wenige Tage vor der angekündigten Vereinbarung über einen Fonds von Wirtschaft, Bund und Ländern zur Entschädigung der Arbeiter, die in Deutschland während des Krieges schuften mussten, halten sich betroffene Firmen bedeckt.
Nach Recherchen des Stadthistorikers Laurenz Demps waren in der Reichshauptstadt hunderttausende Zwangsarbeiter in hunderten von Firmen beschäftigt. In manchen Betrieben seien drei Viertel der Belegschaft aus den besetzten Gebieten gekommen. Der Historiker Mark Spoerer, ein Experte für das Thema, geht davon aus, dass es am Ende des Krieges praktisch keinen Betrieb gab, der nicht Zwangsarbeiter ausbeutete. Allein eine Liste des Heimatmuseums Lichtenberg dokumentiert 42 Betriebe, die in dem Bezirk Zwangsarbeiter beschäftigten. Doch fast alle dieser Betriebe zeigen sich heute ahnungslos. Obwohl die Berliner Wasserbetriebe (BWB) über ein eigenes Museum und über ein umfangreiches Hausarchiv verfügen, war in dem Unternehmen gestern die Verwunderung groß. „Das überrascht mich jetzt, dass eine unserer Vorgängerfirmen Zwangsarbeiter beschäftigt haben soll“, sagte ein Sprecher. „Faxen Sie mir mal Ihre Liste, wir werden uns dann umgehend darum kümmern.“
Das Unternehmen Knorr-Bremse, das in Lichtenberg vier Barackenlager unter anderem an der Roederstraße hatte, war auch bei der zweiten Anfrage innerhalb weniger Tage nicht in der Lage zu sagen, ob die Geschundenen bereits eine Entschädigung erhalten haben. Auch die Berliner Stahlbau GmbH in Weißensee, die französische Zwangsarbeiter hatte, konnte dies nicht. Bei der Firma Schultheiss, die vor zwei Jahren die Brauerei Engelhardt schluckte, war gestern ebenfalls keine Auskunft darüber zu erhalten, ob Zahlungen an Geschädigte gingen. Das Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg ließ immerhin verlauten, seit kurzem prüfe man, ob das Unternehmen tatsächlich Fremdarbeiter beschäftigt habe. Erst dann werde die Geschäftsführung eine mögliche Entschädigung erörtern.
Auch bei der Bewag, an der der US-Stromkonzern Southern Energy beteilgt ist, hatte man sich schon mit dem Thema beschäftigt. „Wir werden uns nicht vor unserer Verantwortung drücken und uns an der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft beteiligen“, sagte Sprecher Siegfried Knopf gestern. Zuvor müsse allerdings geklärt werden, wie viele Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen seien. Man wolle einen „verhältnismäßigen Anteil“ an dem Fonds übernehmen. Die Bewag geht „von weit unter einhundert Zwangsarbeitern aus“, so Knopf. Die genaue Zahl lasse man jetzt von einem Historiker überprüfen.
Der Glühbirnenhersteller Osram, der in Lichtenberg untergebrachte Zwangsarbeiter ausnutzte, beteiligt sich als 100-prozentige Siemens-Tochter am Entschädigungsfonds der Wirtschaft.
Nicht nur das Management, sondern auch die Belegschaft geht dem Thema aus dem Weg. „Wir haben darüber in keiner Sitzung geredet“, sagt ein Betriebsrat der Deutschen Bahn AG. Bislang habe man dazu auch keinen Handlungsbedarf gehabt.
Norbert Oettel, Betriebsrat bei den Berliner Wasserbetrieben, hat „von dieser Sache noch nichts gehört“. Bevor der Sachverhalt nicht geklärt sei, könne man auch keine Forderungen an die Geschäftsführung stellen. „Das höre ich zum ersten Mal. Bei dem Thema bin ich total unbedarft“, sagte eine Betriebsrätin von Peek & Cloppenburg. Sehr abweisend reagierte ein Betriebsrat aus der Münchener Knorr-Bremse-Zentrale: „Wir haben einen Haufen anderer Probleme.“ Philipp Gessler,Richard Rother
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