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Ein unkalkulierbarer Alien

Zu super für einen Superhelden: In der Klassikreihe vonMarvel-Comics ist Stan Lees „Silver Surfer“ neu aufgelegt worden

Welche Eigenschaften braucht ein Superheld, außer Stärke natürlich? Stan Lee, der Cheflektor und spätere Leiter des Marvel Verlages hat in den 60er-Jahren eine äußerst erfolgreiche Rezeptur für diese Spezies gefunden: Superhelden müssen Schwächen haben.

Der 17-jährige Lee, verwandt mit dem damaligen Timely-Chef und heutigen Marvel-Besitzer Martin Goodman, legte 1939 bei Eintritt in den Verlag seinen Namen Stanley Lieber ab, „weil ich einmal den großen amerikanischen Roman schreiben und meinen wirklichen Namen nicht für diese dummen kleinen Comics hergeben wollte“. Dazu ist es bisher nicht gekommen, stattdessen hat er das Superheldengenre mit seinen Skripten zu den Fantastischen Vier, dem Hulk, dem afroamerikanischen Falcon und vor allem Spiderman revolutioniert. Mit großem wirtschaftlichem Erfolg, Lee machte Marvel zum marktbeherrschenden Verlag, der zeitweise 70 Prozent des Comic-Ausstoßes auf sich vereinigte.

Als siebter Band der Marvel-Klassik-Reihe liegen nun die Hefte 6 – 18 von „Silver Surfer“ vor. Ein typisch Leescher Held der Endsechziger: Der Silver Surfer muss sich dem Weltenzertrümmerer Galaktus verdingen, um seinen Heimatplaneten zu retten. Dafür wird er von ihm mit „der kosmischen Kraft“ ausgestattet. Als er sich gegen seinen Herrn auflehnt, um abermals eine Bevölkerung vor der Vernichtung zu retten, baut Galaktus ein Energiefeld auf, das die Rückkehr zu der Geliebten in der Heimat auf ewig verhindert. So wird der Silver Surfer zu einer silbernen, unverwundbaren Lichtgestalt, die zugleich aber auch ein Verbannter, ein Melancholiker ist. Diese Variante eines Superhelden ist ohne die historische Zäsur von Dallas kaum denkbar. Lee: „Es sah so aus, als hätte Kennedy ein perfektes Leben – und er wurde erschossen.“ Auch Vietnam hinterlässt Spuren: Während Superman gerne der US-Regierung hilft, misstraut der Silver Surfer jeder staatlichen Stelle und gilt daher als unkalkulierbarer Alien.

Zwei Zeichner haben die ersten Hefte gezeichnet: John Buscema hat aus dem Surfer auf seinem Brett den schönsten aller Superhelden gemacht. Einen depressiven Athletiker, der in eleganter Surferhaltung durch einen in LSD-Farben erstrahlenden Weltraum fliegt oder in expressiven Leidensgesten gekrümmt auf einem pittoresken Asteroiden daliegt. Dagegen wirkt die Figur des ungleich berühmteren Jack Kirby nur wie eine bemehlte Variante des „Ding“ von den Fantastischen Vier, einer, der nicht weiß, wohin mit seiner Kraft.

Der „Silver Surfer“ wurde nach nur 18 Folgen eingestellt. „Er siegt nicht ... er triumphiert“, schreibt Lee über ihn. Das war seine Schwäche. Während Lee sonst seinen Helden mit Schalk, Streitsucht und Geldsorgen Leben einhauchte und damit Raum für das Erzählen von Geschichten schuf, war der Silver Surfer zu sehr Ikone, zu wenig Charakter – ein Held, zu super für einen Superhelden.

Martin Zeyn Stan Lee/John Buscema/Jack Kirby: „The Silver Surfer“. Band 6 – 18, Marvel Klassik 7. Marvel Deutschland 1999, 335 Seiten, 59,90 DM

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