: Butterfahrt aus Babylon
Reggae-Revival überall: Jetzt haben HipHop-Musiker dem Reggae-Übervater Bob Marley mit einem Tribute-Album ein Geschenk gemacht. In Orakabessa auf Jamaika gab es aus diesem Anlass ein großes Marley-Gedenkfestival mit internationalen Gästen ■ Von Markus Schneider
Das Gedenkkonzert ist bereits am Flughafen riesig plakatiert, und zwar im Ankunftsbereich, für die Einheimischen nicht zu sehen. Im Hotel zuckt ein vergleichsweise gut bezahlter Kellner und DJ wehmütig die Schultern und beneidet uns Touristen. 50 Dollar Eintritt, drei Viertel seines Wochenlohns, unmöglich hinzugehen. Auf der Anfahrt sehen wir vor den Kneipen und auf den Veranden in der warmen Nacht ein paar von denen, die es sich nicht leisten können. „Funny How Money Changes Situations“, singt Lauryn Hill im Autoradio.
„He always picks the special places“, sagt der Taxifahrer über den Besitzer des Festivalgeländes, Chris Blackwell, den Gründer von Island Records, wo Marleys Platten einst erschienen. Chris Blackwell hat „Island“ inzwischen verkauft, die Zeit vertreibt er sich nun mit einer neuen Firma namens Palm Pictures. Sein Geld macht er heute mit Flug- und Filmgesellschaften und, wie man sagt, mit Grundstücken. Die baut er voll mit Hotels, Musikstudios, Tennisplätzen und Wassersportanlagen. Club Med für die Pop-Elite.
Ein Teil davon hatte sich am vergangenen Samstag zu einem großen Gedenkkonzert eingefunden, in Orakabessa an der Nordostküste der karibischen Insel, wo Bob Marley als Nationalheld gefeiert wird und eine Art Heiligenstatus genießt, zu einem großen Gedenkkonzert. Organisiert wurde das Ereignis von Marleys Erben, vor allem seiner Witwe Rita und Sohn Stephen. Doch nicht Luciano, Capleton oder Beres Hammond wurden eingeladen, die Helden von Jamaikas Dancehall-Kultur, sondern vor allem amerikanische Musiker. Allerdings fehlten viele, die auf der Tribute-CD „Chant Down Babylon“ dabei sind. Das Album, das den Anlass für die Veranstaltung abgibt, ist eine engagierte und respektvolle HipHop-CD, ganz durchdrungen von der entspannten Stimmung der Reggae-Stücke, auf welchen die Cover-Versionen basieren.
Amateure liefern den historischen Rahmen
Auf dem Festivalgelände selbst herrscht wildes Regeln und Verwalten, Uniformierte kontrollieren wie verrückt. Dann darf man eintreten: ein fantastisches Areal auf einer kurzen Landzunge, auf drei Seiten von Meer gesäumt, eine Wiese für angeblich fünfzehntausend, drum herum ein Budenrund mit Merchandising, Folklore-Nippes und Sponsoren, mehrere Tränken. Dope gibt es romantisch am dunklen Wasserrand.
Eine riesige Bühne steht zum Festland hin, zwei vage afrikanisch bemalte Papp-Obelisken an der Seite, bunte Tücher wehen blumenbemustert. Und in der Mitte prangt eine Projektion des äthiopischen Kaisers und Rasta-Heilands Haile Selassie. Sie wird während des Konzerts natürlich durch Bob Marley ersetzt. Scheinwerferbatterien lassen Bühne und Areal fürs TV erstrahlen. Hinter der Bühne ahnt man die dichte Vegetation der dunklen Hügel und sieht ein paar Lichter Orakabessas, Chris Blackwells Kleinstadt.
Zur Eröffnung sollen einige lokale Vorbands den historischen Rahmen liefern, auf wenig inspirierte Nyabinghi-Klänge (eine perkussionslastige, religiöse Reggae-Vorform) folgt klassischer, aber amateurhafter Roots-Reggae, bevor die Veteranen Chaka Demus and Pliers, ein Gesangsduo in gelben und weißen Jackets mit Furcht erregend wattierten Schultern, locker den aktuellen Stand des Dancehall-Stils repräsentieren. Danach Pause.
Umbau. Aufbau. Umbau. Unruhe im Publikum. Der amerikanische DJ geht mit seiner recht beliebigen Mischung aus Roots, Hip Hop und Ragga unter. Statt der aktuellen Helden erscheint schließlich gravitätisch Rita Marley auf der Bühne. „Are you o.k.?“ Ein herzliches „No“ brandet ihr entgegen. Einer erntet schallendes Gelächter, als er „May the lightning strike you, Rita“ (Möge dich der Blitz erschlagen) hinterherschickt. Tantiemenstreit und Engherzigkeiten haben den Ruf der Witwe beeinträchtigt, zum Beispiel, als sie vergeblich versuchte, Bunny Wailer, Marley-Mitstreiter der ersten Stunde, den Künstlernamen zu verbieten. Rita Marley spielt den Conférencier auf dieser Butterfahrt des Gedenkens und hinterlässt den spontanen Eindruck von gründlicher Scheinheiligkeit. Zuerst feiert sich die Familie mit je einem Titel pro Sohn. Fünf Söhne, fünf Songs. Das Drama der berühmten Söhne klingt wie ein Marley-Soundalike-Wettbewerb, den Ky-Mani Marley wohl gewinnen würde, weil er wenigstens einen Bruchteil der Ausstrahlung seines Vaters mitbringt. Danach spielen die Wailers, Marleys langjährige Mitmusiker – „Originalbesetzung“, sagt Rita Marley; ohne Bunny und den verstorbenen Carlton Barrett, denken da einige andere.
Dann kommt Lauryn Hill als Bindeglied von Familie und Gästen, ist sie doch mit Marleys Sohn Rohan liiert. Mit ihrem Auftritt nährt sie den Verdacht, das eigentliche Publikum sitze in zwei Wochen auf der Fernsehcouch vor dem Programm des Hauptsponsors, Ted Turners Fernsehsender TNT. Lauryn Hill mobilisiert ihre Grammy-Erfahrung und knipst ihre unwahrscheinliche Präsenz an, packt das Publikum – ein Song, danke, das war’s. Und tschüss. Sekundengenau erfüllt sie den im Ablauf vorgegebenen Zeitrahmen. Das Publikum ahnt, dass es so weitergeht, es murrt, da zerrt Rita Marley kurzentschlossen Bobs Mutter auf die Bühne, gegen die kann keiner was haben.
Insgesamt werden so um die 15 Künstler über die Bühne geschleust, darunter Jimmy Cliff, Chrissie Hynde, Tracy Chapman und Ben Harper. Je ein Stück, die Vorgänger kündigen wie bei vergleichbaren Fernsehinszenierungen ihre Nachfolger mit Geheuchel an und trollen sich dann eilig. Obwohl das Publikum die meisten Auftritte enthusiastisch begrüßt, kommt keine Stimmung auf. In den Pausen, nach jedem ausgestoppten Showbiz-Häppchen, sackt die Laune weg.
Professionalität und Promo-Lügen
Wenigstens sind die meisten Performances, für sich genommen, professionell. Nur Dr. John und Chrissie Hynde sind voll daneben. Zu den Highlights gehört Busta Rhymes, der dancehalltauglich rappen kann und das Publikum mit seinem abgedrehten Humor erfreut. Hinterher grinst er lustig vergaunert, als er Promo-Lügen verzapft und Werbung für seine neue Platte machen muss. Das ist nett. Wie Queen Latifah, die in braunem Leder Herzlichkeit ausstrahlt und wenigstens nicht so tut, als habe sie ihr Leben lang darauf gewartet, einen Marley-Titel zum Besten zu geben.
Und dann war da noch Erykah Badu. Wenn Lauryn Hill an diesem Abend Präsenz zeigte, dann bebte die überirdische Frau Badu vor Charisma. Ihre Ausstrahlung beruht auf Distanz und einer mysteriösen Aura um Musik und Person. Sie klingt wie eine Billie Holiday für die HipHop-Generation. Die Stimme variabel, nuanciert, fein. In ihrer Performance von „No More Trouble“ improvisiert sie souverän ein paar andere Marley-Titel an, rappt und toastet an kurzen Musikschnipseln entlang. Sie wirkt fast körperlos und sehr fragil. Man befürchtet, sie könnte wegknicken unter dem hohen Turban, der ihr elegantes Gesicht betont. Ihr Duett mit Jimmy Cliff, „No Woman, No Cry“, gerät zur respektvollen Hommage.
Im Pressezelt beantwortet Badu später, im Gegensatz zu den meisten anderen, die immer gleichen Fragen des TV-Hofberichterstatters mit Würde, keine Anbiederung, keine Aufschneiderei, nicht mal ein Verweis auf die anstehende neue CD. So geht das also auch.
25 Minuten nach Mitternacht, auf die Sekunde genau, ist das Konzert planmäßig vorbei. Dann gibt es Stau für Stunden, die rustikale Straße ist von der Besuchermasse überfordert. Im Pressezelt spreizt sich Rita Marley und erntet mit ihrer Angeberei und ihren selbstgefälligen Floskeln einmal mehr nicht viele Sympathien. Komisch, wie Geld manchmal die Situation verändert.
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