Nigerias Muslime gehen in die Offensive

Immer mehr nördliche Bundesstaaten wollen das umstrittene islamische Recht einführen

Berlin (taz) – Die Einheit Nigerias wird immer mehr in Frage gestellt. Vier Bundesstaaten des muslimischen Nordens haben inzwischen das islamische Scharia-Recht entweder eingeführt oder seine Einführung angekündigt. Auf den bäuerlichen Bundesstaat Zamfara, der am 27. Oktober den Anfang machte, folgten die Bundesstaaten Kebbi, Kano und am Dienstag dieser Woche auch Yobe im Nordosten. In Yobe folgte die Entscheidung auf eine vermutlich nicht spontane Demonstration von 120.000 Menschen vor dem Sitz der Regierung.

Beobachter fürchten, dass insgesamt bis zu 14 der 19 nordnigerianischen Bundesstaaten die Scharia einführen könnten – ein verfassungswidriger Schritt, der die ethnischen und religiösen Spannungen im Vielvölkerstaat Nigeria verschärft. In Zamfara ist bereits zu sehen, wie die Rechtsänderung die Gesellschaft verändert. In Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln wird Geschlechtertrennung immer häufiger.

Politisch kontrovers ist die Scharia in Kano, dessen gleichnamige Hauptstadt die größte Stadt im Norden Nigerias mit Einwohnern aus allen Landesteilen ist. Erst im Juli gab es in Kano schwere Unruhen zwischen nordnigerianischen muslimischen Haussas und südnigerianischen christlichen Yorubas. Seit die Regierung des Bundesstaates letzte Woche die Einführung der Scharia verkündete, haben die Spannungen zwischen den ethnischen Gemeinschaften erneut zugenommen. Die endgültige Abstimmung über die Scharia im Parlament des Bundesstaates ist daher bereits mehrfach verschoben worden. Ungeklärt ist unter anderem, ob die Scharia in Kano auch für Nichtmuslime gelten soll.

Die Scharia-Ausbreitung geht einher mit einer ethnischen Radikalisierung im Norden Nigerias. So wurde am 5. Dezember von traditionellen Machthabern und pensionierten Militärs in Kano eine militante Haussa-Jugendorganisation namens Northern Arewa Peoples Congress (NAPC) gegründet, die explizit als Gegenstück zur militanten Yoruba-Organisation Oodua Peoples Congress (OPC) im Süden gedacht ist. Die NAPC will nach eigenen Angaben „angemessen und strafend innerhalb von 24 Stunden auf jeden weiteren Angriff des OPC oder anderer Gruppen auf Nordnigerianer“ reagieren. „Der OPC sollte daran erinnert sein, dass wir von Dschihad-Kriegern abstammen“, drohte die Gruppe und rief alle im Süden Nigerias lebende Haussas auf, ihre Familien und Ersparnisse in den Norden zu bringen.

Auch in Nigerias Parteienlandschaft, die bisher von ethnischen Spaltungen relativ verschont geblieben ist, hinterlässt die Entwicklung Spuren. Während die im Süden verankerte Alliance for Democracy (AD) immer mehr zu einer reinen Yoruba-Partei wird, sammeln sich Konservative und Islamisten in der im ländlichen Norden starken All People’s Party (APP). Die APP, bisher die schwächste der drei legalen Parteien Nigerias, hielt Anfang Dezember einen von ihren Anhängern als „Wiedergeburt“ bejubelten Parteitag ab. Parteitagsleiter war Ahmed Sani Yarima, Gouverneur von Zamfara und Scharia-Trendsetter.

Dominic Johnson