piwik no script img

Werder und Bob Marley im Flüchtlingslager

■ Jugendliche Flüchtlinge aus Westafrika haben sich in Bremen-Nord eine Art zu Hause geschaffen / Jetzt droht die Abschiebung

Freitag Mittag, Schulschluss. Alieu, Mamadou, Mohammed und Simon* stapfen durch den dicken Bremer Nebel nach Hause. „Zu Hause“, das ist ein 1951 gebautes Lager in Bremen-Nord. Nach dem zweiten Weltkrieg warteten hier verschleppte „Displaced Persons“ auf ihre Auswanderung nach Übersee. Auch viele der heutigen Bewohner warten auf ihre Ausreise, allerdings meist nicht voller Vorfreude sondern voller Angst: Das Lager beherbergt 300 Flüchtlinge aus 15 Ländern.

Das triste graue Haus unterscheidet sich nur durch die Nummer 50 von den übrigen. Im Flur, der an eine Kaserne erinnert, steigt den Jugendlichen der Duft von frisch gekochtem Essen in die Nase. Wie in ihrem westafrikanischen Heimatland Sierra Leone riecht es. „Seit wir in diesem Haus eine eigene Küche einrichten konnten, ist die Stimmung viel besser geworden“ sagt Sozialarbeiterin Hille Lühring. „Mit dem Essen aus der Großküche sind die Jungs überhaupt nicht klar gekommen.“

Vor den brodelnden Kochtöpfen steht mit ernster Miene Abou. Er würzt, rührt um und schmeckt ab. Alieu und Mamadou geben sich eigentlich cool wie Gangsta-Rapper. Aber jetzt lugen sie Abou neugierig über die Schulter. Sie dürfen den Rindfleischeintopf mit Okraschoten probieren, dazu gibt es mit Mohrübenschnitzeln garnierten Reis. Sorgsam organisiert Abou die Zubereitung großer Mengen. Bei der Verabschiedung eines Mitarbeiters am Nachmittag will er alles heiß auf den Tisch bringen.

An anderen Tagen weiß er oft nicht, was er mit sich anfangen soll. Wenn sein Zimmergenosse Simon morgens aufsteht und zur Schule geht, bleibt er im Bett liegen. Seit er seinen Hauptschulabschluss geschafft hat, verschläft er soviel wie möglich vom Tag.

Abou möchte eine Ausbildung zum Koch machen. „Das würde mir auch in Sierra Leone nützen, wenn sich irgendwann der Tourismus entwickelt“, sagt er. Aber ohne Arbeitserlaubnis geht das nicht. Und eine berufsvorbereitende Schule hat ihn auch abgewiesen. Mittlerweile hat der 17-Jährige resigniert.

„Das ist nicht nur ein persönliches Problem für ihn. Abou war immer ein Vorbild für die anderen Jungen. Sie waren schwer für den Schulbesuch zu motivieren. Das wird natürlich jetzt noch viel schwieriger, wenn sie sehen, dass nichts dabei herauskommt“, sagt Sozialarbeiter Samuel Johnson. Mit Unbehagen sehen die Mitarbeiter der Jugendwohngruppe in die Zukunft. Wenn die weniger begabten oder ambitionierten Jugendlichen die Schule abbrechen, könnte die Stimmung leicht kippen. Einige Bewohner haben schon eine kleinkriminelle Vergangenheit.

Noch wohnt in Nr. 50 eine Art Vorzeige-Gruppe. Kaum zu glauben, dass das schäbige Haus die beste Ausstattung im ganzen Lager haben soll, wie Lühring sagt. Und auch zwischen den Bewohnern stimmt es. Den Zusammenhalt in der Gruppe haben die Betreuer durch gemeinsame Aktivitäten gefördert. Der Höhepunkt des Jahres war für alle eine Reise zum 11. Würzburger Africa Festival im Mai. Doch auch die Jugendlichen selbst werden aktiv: Sie gründeten den „Werder Bremen Africa Fanclub“ und gehen regelmäßig zu den Heimspielen ins Weserstadion. Einige spielen auch selbst beim TSV Lesum.

„In letzter Zeit sind die meisten der zwölf Heranwachsenden ausgesprochen häuslich.“ sagt Lühring. Abends trifft man sich zum Fernsehen in dem winzigen Gemeinschaftsraum. Vor allem bei Sportübertragungen, die aus aller Welt per Satellit empfangen werden, wird es eng auf den abgewetzten Ledersofas. Auf Englisch, Fulla und Mandingo wird wild durcheinander kommentiert. Das „New Africa“-Magazin, das die Betreuer der Jugendwohngruppe besorgt haben, liegt dann unbeachtet in der Ecke.

Abou verbringt besonders viel Zeit in der Unterkunft, seit es kalt geworden ist. Meistens zieht er sich in sein Zimmer zurück. Zwischen Schränken mit Sperrmüll-Charme haben er und Simon einen Vorhang an einer Wäscheleine gespannt. So ergeben sich Wohn- und Schlafbereich. Die Sitzecke, über der Bob Marley einträchtig neben dem Werder-Mannschaftsfoto hängt, scheint für Gäste reserviert. Wenn Abou allein ist, liegt er meistens auf dem Bett. Im Schein der riesigen Neonröhre, die beide Raumhälften erhellt, grübelt er über seine Zukunft. Viel fällt ihm nicht ein. not

* Namen geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen