: „Und hast du nichts – dann pack dich wieder“
Über 30 Weihnachtsmärkte haben sich in der gesamten Stadt breit gemacht. Sie bieten gelbsuchtpissgelbe Dinger an Laternen, drittklassige Kasper, komplizierte Kerzen in Gelee in Gläsern mit Figuren drin und viel zu junge Weihnachtsmänner ■ Eine Marktkritik von Detlef Kuhlbrodt
Im Sommer geht man baden; im Winter auf Weihnachtsmärkte. Im großen Glühweintest der B. Z. wurden 31 Berliner Weihnachtsmärkte aufgelistet. Es werden einige mehr sein, wenn man die weihnachtsöffentlichen Veranstaltungen hinzuzählt, die nur an einem Wochenende stattfinden. Im Glühweintest der B. Z. bekam der Glühwein, der im „Knusperhäuschen“ auf dem Breitscheidplatz ausgeschenkt wird – Obst-und-Beeren-Wein „Hitzkopf“ – am meisten Punkte. Ein Alkoholgehalt von 9,8 Prozent wurde ermittelt, die Temperatur des Getränks betrug 78°;es war wohlschmeckend und stieg schön zu Kopf. Betrinken kann ich mich auch zu Hause.
Im Ringcenter am U-Bahnhof Frankfurter Allee gibt es Berlins größte Weihnachtspyramide. Zehn Meter! Der deprimierendste Weihnachtsmarkt ist jedoch am Potsdamer Platz. Am Freitagabend um acht gab es: Forsythien- beziehungsweise gelbsuchtpissgelbe Weihnachtsdinger an den Laternen, 20 Buden, 5 Polizisten und 4 Normale, sieht man mal von der kichernden Schulklasse aus Sachsen ab, die da auch rumstand. Die Potsdamer Platz Arkaden waren noch deprimierender: Dort hat man Weihnachtsmärchen so schaufensterdekomäßig nachgebaut.
Der sog. Weihnachtsmarkt im Zentrum des Westens ist eine Ansammlung standardisierter Fachwerkbuden im Weihnachtsoutfit, die den Fußgängerverkehr behindern und sich am Breitscheidplatz verklumpen. In den Buden gibt es blinkende Christbäume zum Anstecken, Weihnachtskugeln, auf denen in altdeutscher Nazischrift „Berlin“ draufsteht und auffallend viele Eso-Stände mit Klangschalen zu Meditationszwecken, Duftkerzen und allerlei keltischem Runenkram. Ein Kind plärrt. Ein drittklassiger Kasper im Kasperletheater zwingt die Kinder, „Lasst uns froh und munter sein“ zu singen. Pervers!
Ein junger Mann mit Oberlippenbärtchen und lustiger Weihnachtsmannmütze guckt lebensmürrisch. Wahrscheinlich ist er verzweifelt darüber, nicht er selbst sein zu können. Ein Behinderter schmust in seinem elektrischen Rollstuhl mit seinem Hund. Irgendwo gibt es Busenkalender, anderswo mit Nugat- bzw. Amarettomarzipan gefüllte Bällchen, die aussehen wie Gehirn mit Schokoladenstreuseln. Ein junges Mädchen fragt: „Wollt ihr Telefonkosten sparen?“ – „Nö!“
Am Leopoldplatz nimmt man am besten den Ausgang zum Krematorium. Der annoncierte französische Weihnachtsmarkt ist nicht da. Dafür ist der Himmel wie Norddeutschland im Herbst, und auf dem Dach von Karstadt sitzt ein zwanzig Meter großer Weihnachtsmann. In der Alten Nazarethkirche gibt es eine Adventscaféteria. Zwei Schilder stehen im Treppenhaus nebeneinander: Links geht es zu den Toiletten; rechts zum Andachtsraum, der zur Caféteria umfunktioniert wurde. Dort gibt es weihnachtliche Servietten und rote Kerzen. Rentner sitzen neben jüngeren Menschen; ein Kind bastelt. Der Kaffee ist fair und der Kuchen sehr gut. Eine Rentnerin wirkt rührend schüchtern; eine andere ein bisschen traurig. Ein alter Mann in brauner Wolljacke klopft auf den Tisch und geht. Es ist sehr schön, wenn alte und junge Menschen einander begegnen. Das ist auch das Manko der Szenekneipen!
Später dann auf dem 27. Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt am Neuköllner Richardplatz. „Dieser Weihnachtsmarkt bietet auf einer Fläche von rund 15.000 Quadratmetern an fast 200 Ständen neben Bratäpfeln und Glühwein viel Selbstgemachtes, wie Weihnachtsbäckereien, Spiel- und Bastelsachen“, steht in der Presseinformation des Bezirksamts. Eine Familie mit blinkenden Weihnachtsmannmützen kommt uns entgegen. Das schöne Mädchen am Imbiss trägt auch eine und hat passend dazu grüne Haare darunter. Hier ist es super! Kleine Kinder in Skianzügen heißen Anita, Stefan, David oder Sophie und sagen auf der Bühne Weihnachtsgedichte auf. Dafür gibt’s Geschenks. Der Kleinste kräht immer nur: „Gedicht, Gedicht!“ ins Mikrofon. Zwei sagen: „Lieber guter Weihnachtmann, schau mich nicht so böse an ...“, das russische Gedicht eines anderen (grüne Pädagogeneltern?) begann mit mit den Zeilen: „Unser Weihnachtsmann heißt Väterschen Frost“. Ein emanzipatorisches Gedicht handelt von der Brechung der Macht des Weihnachtsmanns: „und hast du nix / dann pack dich wieder“. Kurz erobern sympathisch wirkende Behinderte das Mikro, werden aber nach drei Gedichten abgewürgt. Der Weihnachtsmann ist nicht so gut und sagt immer: „Na bitte!“, „Das war ja toll“ bzw. „Danke“. Das ist ja ohnehin dieser völlige Unsinn bei der Weihnachtsmännerei: Anstatt sich Weihnachtsmänner aus den Seniorenheimen zu holen, nehmen die immer grünschnäblige Studenten. Wir nehmen: Hasch, Kosakenkaffee und Glühwein für zwei Mark.
Später gibt Bürgermeister Bodo Mangold, der Pate von Neukölln, die Gewinner des Wettbewerbs um die schönsten Weihnachtsfenster bzw. Balkone bekannt. Die wurden vom Wirtchaftssenator Branoner ausgesucht. Mit Demokratie hat das wenig zu tun! Es gewann: die erste Etage der Hertzbergstraße 32, die m. E. zu sehr nach KaDeWe-Deko aussieht.
Am Sonntag waren wir auf dem kleinen, selbst organisierten Weihnachtsmarkt beim Sozialpalast. Es gab viel Selbstgebasteltes, Waffeln und komplizierte Kerzen in Gelee in Gläsern mit Figuren drin. Vielleicht zwanzig Leute waren da und froren. Türken, Berliner Muttis um die 50, Angetrunkene. Am Rande spielten drei Jungs Fußball. Alles wirkte sehr osteuropäisch, also herzlich, melancholisch und großartig.
Wir wollten uns auch gleich betrinken am Sonntag. In der U-Bahn hing die seltsame Werbung irgendeiner Christenvereinigung: „Stell Dir vor, Du betest und Gott anwortet“ und „Gott, der tut was!“ sowie abschließend, in intimisierender Schreibschrift: „Gott“.
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