: Gucken only - Kaufen verboten
■ Im Karolinenviertel hatten gestern zwölf Läden geöffnet
Sonntag in der Marktstraße im Karolinenviertel. Erlaubt: Verklemmtes Schauen, verklemmtes Flüstern, verklemmtes Lächeln, so steht es am „Elternhaus“. Verboten: Verkaufen und beraten. Ladeninhaber dürfen nicht einmal in ihren Läden sein und mit potentiellen Kunden reden. So will es das deutsche Ladenschlussgesetz. Denn sonntags ist Ruhetag. Es sei denn, man arbeitet zufällig im Krankenhaus, in einer Tankstelle, bei der Polizei, bei einer Zeitung, beim Fernsehen oder so. Den LadeninhaberInnen in der Marktstraße stinkt das: „Weg mit dem Scheiss-Gesetz!“ fordern sie auf einem Flugblatt.
Gestern nachmittag haben etwa zwölf Ladenbesitzer ihre Geschäfte geöffnet, als offenes Schaufenster, denn nur gucken war erlaubt, und keiner der Inhaber durfte im eigenen Laden sein. Eigentlich sollten alle 40 Geschäfte öffnen. „Aber viele hatten Angst, weil der Verein für den lauteren Wettbewerb Geldstrafen angedroht hat“, sagt Charly Jungbluth, Sprecher des Interessenverbandes Marktstraße.
Er selber wolle seinen „Steel & Fashion“ gar nicht rund um die Uhr öffnen, „ich will nur überleben“. Viele würden die Initiative kritisieren, „die werfen uns vor, wir wollten den Konsumterror ins Viertel holen. Aber das ist doch Quatsch, wir werden doch hier alle nicht reich“. Aber jeder wolle eben selber entscheiden, wann und wie lange er geöffnet habe.
Farid Müller, wirtschaftsplitischer Sprecher der GAL, schaut sich in den Geschäften um: „Wir sind ja eigentlich gegen die Sonntagsöffnung“. Aber er sehe Handlungsbedarf, denn eine Studie habe ergeben, dass es in zehn Jahren in Hamburg 2500 kleine Geschäfte weniger geben wird. „Und natürlich wollen wir nicht, dass Stadtteile veröden“. Vielleicht sollte man die Öffnungszeiten für inhabergeführte kleine Läden freigeben.
Die Leute, die an diesem Sonntag durch die Geschäfte der Marktstraße bummeln, finden die Aktion jedenfalls gut. Zwei sind extra aus Bergedorf gekommen. „Das ist eine witzige Idee, da kann man heute ganz in Ruhe gucken, das schafft man in der Woche ja doch nicht“, sagt eine Frau, die im „Elternhaus“ stöbert. Der „Ordner vom Dienst“, von denen es in jedem Laden einen gibt, der aber nur aufpassen darf, hat beobachtet, „dass die Leute sich viel mehr Zeit lassen, weil sie ohnehin nichts kaufen können“.
Der Ordner bei „Jungbluth Steel & Fashion“ erzählt von Leuten, die extra aus Kiel gekommen sind, weil sie dachten, hier könnten sie endlich Weihnachtsgeschenke kaufen, wozu sie in der Woche keine Zeit hätten, weil sie selber im Einzelhandel arbeiteten. Aber auch sie hatten keine Chance: Gucken only. san
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