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Von den Berufenen abberufen

Hans Meyer installierte ein unabhängiges Kuratorium, um die Berliner Humboldt-Uni voran zu bringen. Jetzt komplimentierte das Gremium den engagierten Querdenker hinaus

Die Altersgrenze, heißt es nun, solle „einen regelmäßigen Wechsel in Spitzenpositionen garantieren“

Berlin (taz) – Erst Erfurt, jetzt Berlin: Kaum hat sich Peter Glotz als Thüringer Uni-Gründer verabschiedet, sucht nun auch der profilierte Hochschulreformer im Herzen der Hauptstadt das Weite. Nur noch drei Jahre, so beschloss es das zuständige Gremium, darf Hans Meyer Präsident der Berliner Humboldt-Universität bleiben – ein persönlicher Affront für den 66-Jährigen, der die Hochschule erst seit dreieinhalb Jahren leitet. Sollte sich an der Entscheidung nichts mehr ändern, will Meyer umgehend aus dem Amt scheiden.

Pikanterweise war in beiden Fällen die Thüringer Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski (CDU) am Abschuss beteiligt. Denn bevor sie im Herbst den Erfurter Kabinettsposten übernahm, saß die Professorin aus Ilmenau ehrenamtlich dem Kuratorium der Humboldt-Universität vor. Noch unter ihrer Ägide hatte das hochkarätig besetzte Kuratorium, dem auch der Museumsdirektor und frühere amerikanische Finanzminister Michael Blumenthal (73) angehört, die Fristenlösung für den Präsidenten eingefädelt: Mit 70 Jahren, so die noble Runde, muss Meyer abtreten.

Der Eklat im repräsentativen Uni-Domizil Unter den Linden, das sich der Bruder Friedrichs des Großen einst als Stadtpalais hatte bauen lassen, ist bezeichnend dafür, wie sich nahezu alle universitären Reformversuche hierzulande im Gremiendschungel verfangen.

Bei den Gremienhengsten ist die Schadenfreude groß. Vertreter von Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern merkten höhnisch an, Meyer habe doch jenes externe Kuratorium, das ihn nun entmachtet, erst selbst geschaffen – um die alten Proporzgremien auszuhebeln. Wer als Uni-Chef nach kürzeren Studienzeiten und jüngere Absolventen rufe, müsse sich auch selbst an die Altersgrenze halten, glauben die Studenten. Und der wissenschaftliche Nachwuchs verfällt auf das kuriose Argument, angesichts der „angespannten Stellensituation an deutschen Universitäten“ müsse Meyer seinen Posten beschäftigungswirksam räumen.

Welcher Privatdozent aus der Warteschleife statt dessen an die Uni-Spitze rücken soll, verraten seine Kritiker freilich nicht. Meyer dürfte nicht leicht zu ersetzen sein. Als er 1996 die grüne Politikerin Marlis Dürkop ablöste, war der schwerfällige Uni-Tanker längst auf Grund gelaufen. Dürkop hatte sich im Gestrüpp von Sparzwängen, Ost-West-Konflikten und unerfüllten Reformerwartungen immer hoffnungsloser verfangen.

Meyer schaffte es innerhalb weniger Jahre, der angeschlagenen Hochschule ihr Selbstbewusstsein zurückzugeben. Fragen nach dem Profil der Universität pflegte er mit einem einzigen Satz zu beantworten: „Wir sind vorne und oben.“ Mit derlei starken Sprüchen ging Meyer in die Offensive, wo seine Vorgängerin nur defensiv – und entsprechend erfolglos – den Status quo verteidigte. Erfolgreich war der gebürtige Aachener aber nur deshalb, weil er sich auf für die Niederungen des Alltags nicht zu schade war. In endlosen Sitzungen trieb er den Umbau der Hochschule voran.

Dieses Fingerspitzengefühl hatte er schon in den Jahren 1991 bis 1993 erworben. Damals noch Professor in Frankfurt am Main, leitete der Staatsrechtler bei den Humboldt-Juristen den personellen Umbau nach der Wende. Obwohl sich kaum noch ostdeutsche Juristen am Fachbereich finden, ging der schmerzhafte Prozess erstaunlich geräuschlos vonstatten.

Als Verfassungsjurist konnte Meyer auch laut werden. Mit Klagen gegen die Parteienfinanzierung oder gegen jene Überhangmandate, die Helmut Kohl 1994 die Mehrheit sicherten, meldete sich der Professor zu Wort. Beobachtern galt er stets „als unbequemer, querdenkender Verfechter grundgesetzlicher Prinzipien und demokratischer Tugenden“.

Unkonventionell ist auch Meyers Begründung, warum er nur für eine volle fünfjährige Amtszeit noch einmal antreten will: „aus persönlichen Gründen“ – eine Formel, die gewöhnlich für vorzeitige Demissionen benutzt wird. Er müsse sich entscheiden, ob er in Berlin bleibe oder nach Frankfurt zurückkehre.

Nicht ganz treffend ist freilich auch das Argument, Meyer sei zu alt. Schließlich soll die Altersgrenze, so der renommierte Altersforscher Martin Kohli, „in Spitzenpositionen einen regelmäßigen Wechsel garantieren“. Meyer aber hat sein Amt gerade erst angetreten. Auf ihn, der den Posten erst im Alter von 63 Jahren übernahm, scheint eher Goethes Diktum zuzutreffen: „Altwerden heißt, ein neues Geschäft antreten.“

An der Hochschule selbst wird munter spekuliert, ob sich die Schipanski-Nachfolgerin Evelies Mayer, einst Kultusministerin in Hessen, wirklich nur um das Alter des Präsidenten sorgt – oder womöglich selbst nach dem Posten strebt. Sie selbst lässt immerhin durchblicken, auf Präsident Meyer nicht angewiesen zu sein. Die Bewerberlage, sagt sie, sei „nicht schlecht“.

Ralph Bollmann

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