: Todesschreie aus Vernichtungslagern
■ Der kroatische Lehrer Mato Draguljic schrieb ein Buch über seine Zeit als Gefangener im berüchtigten Lager Omarska / Jetzt befürchtet er, mit seiner Familie wieder zurück zu müssen
Über seine ersten Worte in Freiheit schämt sich Mato Draguljic noch heute. Kaum entlassen aus dem Konzentrationslager Omarska, in das berüchtigte, von der jugoslawischen Volksarmee geduldete Paramilitärs ab 1992 hunderte bosnische und kroatische Gefangene verschleppt hatten, rief er bei seiner Frau in Bremen an und fragte: „Lebt ihr? Habt ihr genug zu essen?“ Als bekäme man in Deutschland nicht genug zwischen die Zähne, lächelt er heute ein wenig schief. Dann sagt er, als würde er etwas gestehen, dass er noch heute manchmal einfach zum Kühlschrank geht. Die Tür aufmacht. Guckt. Um sicher zu gehen. So geht es einem, der 15 Monate Todeslager in Bosnien lebendig übersteht.
Warum? Warum er? Das versteht Mato Draguljic bis heute nicht. „So geht es Überlebenden“, sagt der Sozialarbeiter der Bremer Caritas, Marko Zaric. Er war es, der dem Kroaten Draguljic riet, seine Erfahrungen im Lager aufzuschreiben. Und als Mato das Manuskript in den Papierkorb warf, überredete er ihn, es wieder raus zu holen. Jetzt gibt es den „Erlebnisbericht aus Vernichtungslagern in Bosnien“ als Buch. „Todesschreie“.
„Solche Geschichten will niemand hören“, sagt Mato selbst. Das spürte er schon, kaum dass er in Deutschland ankam und Bekannte fragten: „Wie war's?“ Jedes Mal, kaum hatte er sich durchgerungen doch zu antworten, wechselten die anderen das Thema. Der Schmerz, den er dann spürte, kam von tief drinnen – als würde jede Frage einen rostigen Riegel im Bauch bewegen. Mato hätte kein Buch geschrieben – gäbe es nicht Marko Zaric.
Der katholische Sozialarbeiter merkte früh, dass den im Austausch freigekommenen Ex-Lagerinsassen Mato Draguljic etwas anderes zu ihm trieb, als die Vorwände, unter denen er im Beratungszimmer der Caritas auflief: Aufenthaltserlaubnis, Schulbesuch der Kinder, Arbeitsstelle der Frau ... „Der hat Druck“, stellte Zaric fest. Mato Draguljic nickt. Wenn auch niemand das Buch kauft – „der Druck ist weniger geworden.“
Der Druck kommt von 400 Tagen Todesangst. Hunger. Folter. Sinnloser Brutalität. Und dem Miterleben von Morden an Mitgefangenen. Die Berichte vom Lager Omarska gingen um die Welt, nachdem „Newsday“-Reporter Roy Gutman im August 1992 vom Vernichtungslager berichtete – wo die Kriegsverbrecher Dusan Tadic und Radovan Karadcic mitmischten. „Ich glaube, Gutman hat mir das Leben gerettet“, sagt Mato Draguljic. Das Internationale Rote Kreuz dagegen habe sich an der Nase herumführen lassen. Bevor es wie angekündigt endlich kam, waren die am schlimmsten ausgemergelten Häftlinge weggefahren worden. Lastwagenweise. Für immer verschwunden, schreibt Draguljic. Erst als die Wolldecken, die die übrig gebliebenen Insassen vom Roten Kreuz bekamen, auf den Märkten der umliegenden Städte angeboten wurden, merkte auch das IRK, dass etwas schief lief. Im Buch berichtet Mato Draguljic, wie die Gefangenen Essen und Kleidung und Decken abgeben mussten, kaum waren die Rot-Kreuz-Vertreter wieder abgefahren. Aber er schreibt auch, wie ihm eine ehemalige serbische Kollegin nach einem aus dem Knast geschmuggelten Hilferuf immer wieder Essen zukommen ließ. „Es sind nicht alle gleich“, sagt er.
Mato Draguljic ist noch keine 40. Aber mit dem gelblichen, tief gefurchten Gesicht eines Schlafgestörten sieht er aus, als wäre er reif für die Rente. Dabei kann es sein, dass er mit seiner Familie noch einmal ganz von vorne anfangen muss. Obwohl seine Frau seit Jahren in einer Bremer Klinik arbeitet, bekommt die Familie ihre Aufenthaltserlaubnis immer wieder nur kurzfristig. Jetzt bangt sie, ob es zum Jahresende noch mal klappt.
„Mato ist ein Beispiel für eine Gesetzeslücke“, sagt der Sozialarbeiter Zaric. Wären die Draguljics nämlich als Asylbewerber gekommen, hätten sie jetzt wohl die „Altfallregelung“ in Anspruch nehmen können. Die sieht für Familien, die bis Juni 1993 eingereist sind und über ein eigenes Einkommen verfügen, ein Bleiberecht vor. Die Absicht war, menschliche Härten zu vermeiden. Kriegsflüchtlinge wie die Draguljics sind davon aber ausgenommen. Ihnen droht die Ausweisung.
„In unserem Haus wohnen jetzt Serben“, zuckt Mato Draguljic die Schulter. Das ehemals bosnische Prijedor, wo er zuletzt als Lehrer arbeitete, gehört heute zur serbischen Republik. Zwar hätte die Familie vielleicht Chancen für eine Auswanderung in die USA oder Kanada. „Aber die alte Mutter meiner Frau lebt bei uns“, sagt Mato Draguljic. „Es geht nicht.“ ede
Mato Draguljic, Todesschreie aus Vernichtungslagern in Bosnien, Verlagsbuchhandlung U. Sulek, Köln 1999
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