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Peep-Show mit Stoffschweinchen

■ Der Underground-Kunstverein Humboldt-Schlüter zeigt eine Gruppenausstellung zum Thema Erotik

Dem Leiter des Museums Weserburg hat Kaschi Jankowski eine Einladung zukommen lassen. Ebenso jenem der Städtischen Galerie. Und noch so manchen anderem, der sich in dieser Stadt in leitender Funktion um die Kunst bemüht. Zur Eröffnung der Ausstellung „§rot.de“ (lies: erot.de) am letzten Wochenende hat aber keiner den Weg in den Underground-Kunstverein Humboldt-Schlüter gefunden. Terminnot? Schwellenangst gar?

Ach, wenn's so wäre, wäre es unangebracht. Denn im vermutlich einzigen Kunstverein der Welt mit eingebautem Tresen steht mit Günter Parzentny mindestens der netteste Mensch der Welt allabendlich an den Zapfhähnen. Und auch „§rot.de“ bietet nicht den geringsten Anlass für verschämt rote Ohren und heimliche Besuche. Zwar zog die Eröffnung einen ganzen Schwarm schräger und schrägster Vögel in die rappelvolle Humboldtstraße. Eine blonde Frau in roten Pumps demonstrierte bei der Gelegenheit auf einem Tisch die Erotik indischer Tänze, während ein Latexvirtuose einem Modell ein hautenges T-Shirt verpasste. Am Ende des gelungenen Abends, erzählt Günter Parzentny, waren alle froh, dass sich die Tänzerin trotz allerlei Verrenkungen nicht die Haxen gebrochen hat. Und das Latexmodell war nach einigen Bierchen zu viel vor allem daran interessiert, den scheiß warmen Fummel endlich über den Kopf ziehen zu können.

So ist das wohl, wenn der strahlende Sex der Hochglanzmagazine abblättert und darunter die erotischen Sehnsüchte normaler und nicht ganz so normaler Menschen zum Vorschein kommen. Zwanzig von ihnen hat Ausstellungsmacher Kaschi Jankowski mit „§rot.de“ vereint. Die Arbeiten sind banal, grandios, abgrundtief, rührend, hinreißend schlecht – und immer einzig. Halt so, wie man es von einem Kunstverein erwarten darf. Die Auswahlkriterien hat Jankowski flexibel gehandhabt, der Bezug zum Ausstellungsthema ist zuweilen nur mit Mühe zu erkennen: „Alle Leute waren mir sympathisch“ – mehr Konzept braucht es nicht.

Wozu auch. Ob Erotik oder nicht, ob kleiner Kunstverein oder großes Museum, ob triviales Gekrakel oder grandiose Komposition – letztlich geht es immer um das, was den Menschen ein Leben lang am scheißen hält: die verdammte Angst vorm Morgen, jede Menge Sehnsüchte (die wenigsten gestillt), und ab und an eine Prise stiller Hoffnung, so unbegründet sie auch sein mag. 28 Gemälde, Fotografien, Collagen, Objekte und Holzschnitte wühlen sich im Kunstverein durchs Leben, suchen wie Irmtraut Lausch in schwulstig-roten Farbschlachten nach der großen Liebe oder wie Roland Rainer in leuchtenden Totenköpfen, die er über pornograpische Fotos montiert hat, nach den Abgründen der Erotik.

Nichts neues, aber immer wieder frappierend, wie unterschiedlich sich die Geschlechter dem Thema Sexualität nähern. Wo etwa Illona Selling-Hussmanns zarte Studie einer gebeugten nackten Frau sich in Andeutungen verliert und Kerstin Friedrichs opulente Studie eines barocken weiblichen Bauchnabels Sinnlichkeit dort sucht, wo gerade nichts zu sehen ist, dominiert trotz aller stilistischen Unterschiede in den Holzschnitten des Brasilianers Henrique, den Foto-Text-Collagen des erst 18-jährigen Benjamin Hahnstein oder in Georg Köhlers Porträt eines nackten Paares die detailgenaue Darstellung des Körpers.

Neben einigen plakativen Inszenierungen der coolen und deshalb begehrten „Frau der 90-er“, wie sie sich in den großformatigen Gemälden von Kaschi Jankowski und der tschechischen Malerin Danna finden, drängt sich vor allem eine Arbeit von Bernadeta Anna Daniel auf. Ihre elfteilige Polaroidserie, die aus verschiedenen Perspektiven ein weißes Stoffschwein auf plüschigem rosa Untergrund zeigt, ist eine brillante Dekonstruktion des sexistischen Blicks auf den Körper. In immer stärkerer Annäherung an den Stofftierleib verliert sich die Integrität der Figur zu Gunsten einer grotesken Überzeichnung der Details im Stile jener Pornos, die Sexualität auf kopulierende Geschlechtsteile reduziert.

Franco Zotta

Die Ausstellung „§rot.de“ ist bis zum 30. Januar 2000 im Kunstverein Humboldt-Schlüter an der Humboldtstraße 67 zu sehen. Öffnungszeiten: Tägl. ab 18 Uhr, sonntags ab 20 Uhr. Weitere Infos unter 750 33 oder 371 371

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