Passwörter für den Weg ins Ufo

Der Weltuntergang ist schwieriger, als man denkt. Vera Kissels „Die Apokalypseder Marita Kolomak“, uraufgeführt in Düsseldorf, probt ihn mit privater Schizophrenie

Der Sekt in der Zweiliterflasche ist gekauft, der Notdienst für die Millenniums-Computerabstürze organisiert – nur eine zünftige apokalyptische Stimmung, die lässt sich einfach nicht herbeireden zum Ende des Jahrtausends. Die Letzten, die in diesem Jahrhundert noch die nötige Emphase für Endzeit aufbrachten, waren die Dichter des Expressionismus. Ihr Traum von Menschheitsdämmerung und Neuanfang zerbrach im Ersten Weltkrieg. Heute fehlt die Utopie; und so kommt Armageddon nur mehr als Special Effect im Kino vor. Wenn jemand doch vom Ende redet, dann ist er halt schizophren.

Wie Marita Kolomak, Hauptperson des neuen Stückes der Bremer Dramatikerin Vera Kissel. Der Grund für die apokalyptischen Anwandlungen der ehemaligen Chefsekretärin liegt in einer privaten Katastrophe: Das Kind ist gestorben, und seitdem sind da diese Stimmen im Kopf.

„Die Apokalypse der Marita Kolomak“ findet im „Wegsend“ statt, einer schlecht gehenden Kneipe irgendwo in Bayern. Die Bühne (Kathi Maurer) ist einfach: ein paar Tische, eine Theke, ein paar Lichterketten spielen Sternenhimmel. Hinter der Theke Jupp Kolomak, der Wirt. Er ist ziemlich genervt von den esoterisch angehauchten Dörflern, die sich seit Tagen im „Wegsend“ versammeln, um den Offenbarungen seiner Frau Marita zu lauschen. Der Student und Computerfreak Tobias, das gelangweilte Dorfmädel Juliane, die Eierlikör schlürfende Witwe Erlmeyer: sie alle sind davon überzeugt, dass zum Jahrtausendwechsel Außerirdische kommen werden, um sie in ihr Raumschiff zu nehmen, bevor die Welt untergeht. Während Opa Schlott, zynischer Kommentator, am Rande der Szene ein Herrengedeck nach dem anderen kippt, diskutieren die Jünger der Marita Kolomak bereits Passwörter für den Weg ins Ufo.

Extrem typisierte Charaktere hat Vera Kissel da entworfen. Figuren, die bereits nach der ersten Szene keine Überraschungen mehr bereithalten. Der Opa klopft Sprüche, der Wirt gibt den Proleten, Schwester Monika lockt mit Minirock. Selbst die Hauptperson Marita Kolomak wird von Heidi Ecks mit erschreckender Statik gespielt: mondsüchtig aufgerissene Augen von der ersten bis zur letzten Minute. Regisseurin Anna Badora, Düsseldorfs bislang recht glücklose Intendantin, hat den hängenden Dialogen keine Idee hinzufügen können.

Vera Kissel schreibt auch Lyrik, und in den Offenbarungen, die ihrer Marita Kolomak aus dem Mund quellen, hört man durchaus ein Echo expressionistischer Sprachgewalt. Die apokalyptische Rede mit ihren mächtigen Metaphern ist ja auch ein wirkungsvolles literarisches Genre – seit dem Alten Testament. Aber inmitten der Banalität des Stückes behauptet sich das Existenzielle nicht einmal als Zitat.

Nach der Pause sind die Aliens nicht gekommen: Das große Ereignis bleibt aus. Was das Düsseldorfer Stück nicht daran hindert, noch eine halbe Stunde ereignislos dahinzuplätschern: Marita visioniert weiter, die Ankunftszeit des Ufos wird halt neu berechnet. Das Programmheft zitiert Beckett: Bei dem ist ja auch nichts passiert. Doch pure Langeweile macht noch kein Warten auf Godot.

Elke Buhr „Die Apokalypse der Marita Kolomak“ von Vera Kissel. Regie: Anna Badora. Düsseldorfer Schauspielhaus. Nächste Aufführungen: 28., 29., 31. 12. 1999