piwik no script img

Intellektuelle Notwehr

Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht: 20 Jahre Edition Tiamat. Klaus Bittermann teilt weiter aus – nur mit Verona Feldbusch hätte er nicht gerechnet ■ Von Julia Schön

Allein machen sie dich ein – stimmt eben nicht. Klaus Bittermann geht umgekehrt vor. Allein macht er alle ein. Die Fußballreporter, die keinen Satz halten können. Die Bestsellerautoren, die keinen Satz schreiben können. Die Antisemiten, die nur an Hatz denken können, wenn sie beleidigt sind, dass Juden sich nicht mit ihnen versöhnen möchten. Klaus Bittermann ist stark, gemeinsam mit fast hundert Büchern. Nicht selbst geschrieben, aber selbst verlegt in seinem Kreuzberger Einmannbetrieb Edition Tiamat, der jetzt zwanzig Jahre alt geworden ist.

Bittermann ist mehr als doppelt so alt. Distinguiert mit Anzug, Mantel, Hut – gut in Schuss der dünne Mann mit der hohen Stirn, spielt ja auch jeden Samstag Altherrenfußball an der frischen Luft. In seiner Reihe „Critica Diabolis“ richten seine Freunde seine Feinde, nach Treu und Glauben des inoffiziellen Verlagsmottos „Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht“. Und so erregen sich Wiglaf Droste, Gerhard Henschel, Roger Willemsen, Georg Seeßlen, Eckhard Henscheid, Jürgen Roth, Mathias Wedel, Joseph von Westfalen, Fanny Müller und andere über Dummheit und Versagen in den Talkshows, im Kosovokrieg, in der Ex-DDR und im allgemeinen Kulturbetrieb. Immer öfter in Aufsatzsammlungen, aber auch in exemplarischen Fallstudien wie Wolfgang Pohrts „Brothers in Crime“ über das verschworen-verfilzte Bandenwesen in Politik und Gesellschaft oder Robert Kurz’ Ökonomieschockern zur Never ending Story Kapitalismuskrise. Bringt zwar keine grundlegenden Veränderungen, aber meistens genug Ärger und Oha.

Macht Bittermann den Herausgeber des Schmähbands „It’s a Zoni“ über „die Ossis als Belastung und Belästigung“, fragt Bild Dresden: „Müssen wir uns so etwas bieten lassen?“ Und der Freitag nennt ihn einen „Brandstifter“. Editiert er das „Who’s Who peinlicher Personen“, empört sich Wolfgang Niedecken im Kölner Express mit dem Satz „Das ist doch pure Polemik“, weil er dort über sich lesen musste: „In Sachen Rock ’n’ Roll ist Niedecken schwer auf Viagra, da kann er länger, blöder, mehr.“

Bittermann hat diese Possen sämtlich überlebt, auch die Pleiten seiner Verlagsauslieferer „Regenbogen“ und „Rotation“. Und auch das Scheitern eigener ökonomischer Strategien. Sein Einfall, unter dem Titel „Roman Noir“ Krimis zur Finanzierung der „Critica Diabolis“-Bücher zu publizieren, kostete ihn 80.000 Mark Miese. Dabei waren Klassiker Programm: Gore Vidal unter Pseudonym oder Giovannis „Der zweite Atem“, von Melville mit Ventura in der Hauptrolle verfilmt. Wollte niemand lesen. Also musste Bittermann das Krimischreiben selbst besorgen. Unter dem Pseudonym Artur Cravan schrieb er drei Berlin-Krimis für den Verlag Rasch & Röhring, einer wurde ins Französische übersetzt, jeder brachte ihm 10.000 Mark Honorar.

Cravan hat es wirklich gegeben: ein schreibender Preisboxer im Dunstkreis der Surrealisten der späten Zwanzigerjahre. Tatsächlich wirkt auch Bittermann im bundesdeutschen Verlagseinerlei wie ein Boxer, der den Nervensägen aus Funk und Fernsehen Jabs, Schwinger und Haken verpasst, weil ihm nur der Kampf gegen sie Frieden bedeutet. Ein Frage der intellektuellen Notwehr: „Klassische Aufklärung setzt ja voraus, den Gegenstand der Kritik ernst zu nehmen, obwohl er es heute oft gar nicht mehr ist“, sagt Bittermann. Und: „Die Bücher, die ich mache, sind eigentlich antiquiert. An Verona Feldbusch perlt alles ab. Du kannst sie nicht lächerlich machen, weil ihr Wesen bereits lächerlich ist. So jemand ist im Prinzip unangreifbar.“

Bittermanns Hausautor Wolfgang Pohrt, von dem er acht Bücher veröffentlichte, hat schon überhaupt keine Lust mehr, neue Bücher gegen das grassierende Immer-heiter-und-so-Weiter zu verfassen. Es sei denn als wissenschaftliche Untersuchung des gesellschaftlichen Funktionierens – aber dazu fehlt Bittermann das Geld. Pohrts „Brothers in Crime“ finanzierte die Reemtsma-Stiftung so lange, bis sich Pohrt mit deren Namensgeber überwarf. Bittermann seinerseits ist mit Henryk M. Broder über Kreuz, weil er dessen Ansatz, die DDR ausschließlich nach dem Motto „Alle Stasi außer Mutti“ zu betrachten, nicht Folge leisten wollte. Andere kluge und unerbittliche Autoren und Freunde wie Christian Schulz-Gerstein oder Eike Geisel sind mittlerweile gestorben.

Kennengelernt hat Bittermann diese Leute Anfang der Achtziger durch Pohrt. Damals war er gerade von Nürnberg, wo er die Edition Tiamat 1979 als Gewerbe anmeldete, nach Berlin gezogen. Vorher hatte er sich damit beschäftigt, fast vergessene Vorkriegskünstlertypen in deutscher Übersetzung auf den Markt zu bringen: Dada-Schriften von Jacques Rigaut, Prosa und Pornographie der Surrealisten Jacques Prévert und Benjamin Peret. Funktionierte wie Plattenauflegen in der Kneipe für gute Bekannte.

Heute ist Klaus Bittermann Verlagsprofi, aber er macht trotzdem nur Bücher von Leuten, die er kennt und gut findet. Der Verleger fragt sich einfach selbst, was er als peinlich empfindet. Das ist der Maßstab. Die Welt soll ruhig das Maul halten. Deshalb braucht sie Bittermann-Bücher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen