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Die Kultur der Stadt färbt ab“

■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (Teil 11): Die Unternehmensberaterin Martina Rißmann setzt auf den Umbruch und den Reiz, hier Neues ausprobieren zu können. München sei dagegen nett, aber gesetzt

Martina Rißmann, 36 Jahre, Berliner Geschäftsführerin von Boston Consulting, eine der größten Unternehmensberatungen der Welt mit Hauptsitz in Boston, USA.

Seit dem 1. Oktober haben wir in Berlin unser Büro geöffnet, mit dreißig Mitarbeitern, die wir aus unseren anderen Standorten in Deutschland geworben haben. Insgesamt sind in Deutschland rund 800 Leute angestellt. Wir haben lange abgewartet, bis wir hierher gegangen sind. Wir wollten nicht bloß einem Fieber hinterher rennen. Jetzt entwickelt sich Berlin nicht nur unter dem Aspekt Hauptstadt. Berlin ist Ausdruck der deutschen Vielschichtigkeit in Ost und West, Aushängeschild von Konflikten und Veränderungen.

Die Stadt ist mit all den Strömungen ähnlich heterogen, wie wir uns als Company definieren. Wir haben viele Exoten als Mitarbeiter. Bei uns arbeiten nicht nur die klassischen Betriebswirte, sondern auch Physiker, Chemiker und Mediziner. Dadurch entstehen immer neue Ideen für eine Problemlösung.

Und das ist auch das, was wir in Berlin sehen. Neben der Tatsache, dass wir uns jetzt in Berlin repräsentieren, geht es vor allem darum, zu spüren, was sich in Deutschland tut. Das kann man hier viel eher als in Städten wie Hamburg oder München. Wir glauben, dass die Kultur der Stadt sich auf die Arbeit abfärbt. Zum Beispiel Thema Umbruch. Wir erleben das im Umfeld. Firmen fallen auseinander und formieren sich neu. Kleine sind plötzlich stärker als Große. Und so ist die Stadt im Endeffekt auch. Es tut gut, wenn die Mitarbeiter aus den eingefahrenen Pfaden heraus müssen. Berlin macht es einem leicht, in nicht festgefahrenen Strukturen zu denken, wenn alles um einen herum sich ständig ändert und immer schneller wird. Hier tut sich viel im Bereich Medien und Start-ups-Firmen. Die kleinen neuen Firmengründungen verändern die Spielregeln des Marktes radikal. Die besetzen schneller Nischen, um sich auf Themen zu spezialisieren, die die großen nur so nebenbei oder integriert mitmachen.

Wir reisen natürlich sehr viel. Allerdings haben wir, seit wir hier präsent sind, viel mehr Kunden in Berlin dazugewonnen. Lokale Präsenz spielt eine Rolle. Wichtig war aber auch, dass wir dort ein Büro haben, wo unsere Mitarbeiter leben wollen. Für Berlin mussten wir wenig werben – eher bremsen.

Ich bin seit dem 1. Oktober in Berlin und wohne dort, was meine Kollegen als spießiges Schöneberg bezeichnen. Alle anderen wohnen ja in Prenzlauer Berg oder Mitte. Aber ich wollte irgendwo wohnen, wo Bäume stehen und alles fertig ist.

Das Lebensgefühl ist in Berlin ganz anders: Wenn man in München ausgeht, weiß man, was man anziehen soll, richtig hochwertige Kleidung. In München ist alles nett, aber auch sehr gesetzt. Hier denkt man dann: O Gott, bin ich spießig. In Berlin habe ich das erste Mal zwei Kleiderschränke. Ich habe mir hier Sachen gekauft, die würde ich nie im Büro anziehen, zum Beispiel einen Fellrock. Außerdem gehe ich neuerdings viel ins Theater, meist ins Off-Theater, und probiere alles aus, selbst wenn man nach der Pause geht und es nicht verstanden hat oder komisch findet. Ob hier allerdings wirklich Trends gesetzt werden, weiß ich nicht. Es wird auch erst mal viel nachgeholt und nachgemacht. Was sich von Berlin aus wirklich durchsetzen wird, ist schwer zu erkennen. Aber das ist spannend.

Mit unserem Büro sind wir bewusst nach Mitte gegangen. Wir wollen eine andere Tonalität hier rein bringen. Unsere Büros in München und Hamburg sehen anders aus, eben wie Büros. Das Trendige und Helle, Offene, wie diese Fabriketagen, haben die nicht. Die Berliner Truppe ist durchschnittlich auch viel jünger. Ich bin mit 36 Jahren die älteste.

Die meisten, die hier im Berlin-Büro arbeiten, sind Singles. Es war für uns alle der Reiz, etwas Neues ausprobieren zu können. In Berlin ist es relativ einfach, sich einen Bekanntenkreis aufzubauen. Überall, wo ich eingeladen werde, sind alle anderen auch neu. Die Leute in Berlin stehen auf dem Boden und geben sich unprätentiös. Hier gelten Statussymbole viel weniger. Autos zum Beispiel. Fuhren unsere Mitarbeiter in Hamburg oder München vielfach Mittelklassewagen, wechseln sie hier auf Kleinwagen. Alles, was parkbar ist, nicht kaputtgeht und irgendwo stehen kann.Zugehört hat Annette Rollmann

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