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Der transzendierende Olivenbaum ■ Von Alexandra Kournioti

Symbol“, so pflegt mein Vater zu dozieren, „bedeutet zusammenballen.“ Mein alter Herr hat schon immer in einer beliebigen Sache oder Begebenheit einen höheren oder übertragenen Sinn „gesehen“, ohne dass diese ihre vordergründige Bedeutung verlieren würden. Alles klar?

Ein paar Tage nach meiner Geburt legte mir mein Vater die aktuelle Ausgabe jener Zeitung unter das Kopfkissen, die gegen die griechische Junta veröffentlicht wurde. Während meine Tanten die verheerende Wirkung von Druckerschwärze auf weiße Kissen geißelten, verteidigte er seine transzendierende Intention. Er hoffe, die freiheitsliebenden Gedanken der Artikel würden sich auf die nuckelnde Tochter „übertragen“. Bei entsprechend entwickelter Gehirnmasse hätte mir dünken müssen, dass dies der Auftakt zu einer Flut peinlicher Kindheitserinnerungen sein würde.

Im Kindergarten fühlte ich mich in der Puppenecke verarscht und in der Bauecke bedroht. Also malte ich im Akkord. Meine Motive variierten zwischen einem inmitten herumwirbelnden Konfettis errichteten Schneemann (wir lebten am Niederrhein, die Wahrscheinlichkeit einer surrealistischen Interpretation dürfte damit gering ausfallen), einer Bruchbude irgendwo in der Pampa und fünf offensichtlich bereits damals genmanipulierten Riesenmargeriten auf einer bedauernswürdigen Wiese. Über all dem Elend strahlte jedoch stets eine überdimensionale Sonne mit lachendem Gesicht. Als die alarmierte Kindergärtnerin meine Eltern auf diese Eintönigkeit in Aquarell aufmerksam machte, war die Angelegenheit für meinen Vater eindeutig: Er habe mich als Baby gefüttert und dabei das Revolutionslied gesungen, in dem „wir die Sonne betrunken und umkehren machen“. Klare Sache, der subversive Funken sei übergesprungen.

Andererseits stellte sich heraus, dass es vor falschen Symbolen überall nur so wimmelt: Kommunionsunterricht, Eintritt in den Karnevalsverein und der Union Jack an meinen Collegeschuhen wurden mir strikt untersagt.

An dem Tag, als ich zu Hause auszog, frohlockte ich, der symbolistisch aufgeladenen Atmosphäre zu entfliehen. Das Letzte, was ich im Rückspiegel sah, war jedoch von eher beunruhigender Natur: Mein Vater, der keinen Nagel in die Wand schlagen kann, ohne dass die ihm zur Hälfte entgegenkommt, schulterte eine Schaufel. Kurz darauf schrieb er mir, er habe als Erinnerung an „diesen denkwürdigen Tag“ einen Olivenbaum gepflanzt. Nach längerem Herumstudieren begann ich über einen Fachwechsel laut nachzudenken. Prompt berichtete mir mein alter Herr, der Olivenbaum sei kurz davor gewesen einzugehen. Er habe ihn sofort umgepflanzt, an einen sonnigeren Fleck. Nun wachse er über sich hinaus.

Nach meinem Abschluss im neuen Fach fand ich keinen Job und adressierte vor kurzem einen dieser Ich-weiß-ich-müsste-auf-eigenen-Füßen-stehen-aber-kannst-du-nicht-doch-noch-einen-Scheck-schicken-Brief an meinen Vater. Der muss es vorausgesehen haben: „Der Olivenbaum bekommt überraschend gelbe Blätter und hat weniger Blüten als die anderen. Aber keine Angst, ich werde ihn düngen und tränken und so lange pflegen, bis er sich im Hain selbst behaupten kann.“

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