piwik no script img

Nichts geht verloren

■ Die Kölner Galerie Nagel verweigert sich Berlin und übt sich mit der Ausstellung von Kai Althoff in zukunftsweisender Melancholie

Der andere Umzug

Die Galerie Nagel in Köln hat einen neuen Raum bezogen. Warum das der Rede wert sein sollte? Weil dieser Raum – ein Ladenlokal in der Richard-Wagner-Straße – für eine Position steht, die über eine starr gewordene Köln-Berlin-Polarisierung hinaus weist. Zu Beginn der 90er-Jahre stand die Galerie Nagel für eine dezidierte Programmatik, wobei das Spektrum von Postkonzeptkunst zu Malerei, von KünstlerInnen wie Krebber, Schauffler, Strau und Bonin zu Fraser, Armaly und Green reichte. Nicht zu Unrecht wurde dieser Galeriezusammenhang gerne mit einer Familie verglichen – die Rückführung der KünstlerInnen auf „ihre“ Galerie ging so weit, dass man sie schon mal als „Nagelkünstler“ bezeichnete.

Wie so oft sollte sich auch diese Gruppierung als vorübergehende erweisen: An die Stelle der eingeschworenen Gemeinschaft traten im Laufe der Zeit wechselnde, durchaus strategische Allianzen mit anderen GaleristInnen und KünstlerInnen. Diese neue Offenheit zeigt sich auch darin, dass Nagel heute sein Programm um einzelne KünstlerInnen – etwa Jonathan Meese – erweitert, die nicht unbedingt zum engeren Kreis der „Familie“ gehören.

Im Gegensatz zu den zahlreichen Kölner KulturproduzentInnen, die in den letzten Monaten nach Berlin gezogen sind, setzt Nagel mit seinen neuen Räumen weiter auf Köln – zumal er ein Köln-typisches Ladenlokal aus den 70er-Jahren mit Steinfußboden und Kunststofftreppengeländer wählte. Dieser eigenwillig geschnittene Raum lässt sich aber auch als Korrektiv zu jener Form des „White Cube“ lesen, der derzeit in Städten wie Berlin oder Wien eine Art Revival erlebt und sich im Übrigen auf eine New Yorker und Kölner Galerieästhetik bezieht. Den damit immer auch angestrebten Eindruck von Neutralität versuchen die neuen Räume von Nagel erst gar nicht zu erwecken – zu sehr sind sie mit einer Köln-typischen Mietshausästhetik belegt. Auf das zu jedem anständigen „White Cube“ gehörende gleißende Neonlicht wurde ebenfalls verzichtet.

Ganz bewusst hat sich Nagel auch gegen die von seiner Galerie durchaus mit initiierte Praxis der Gestaltung von Galerieräumen durch KünstlerInnen entschieden. Während es die Kompetenzerweiterung des Künstlers zu Beginn der 90er-Jahre noch durchzusetzen galt, ist der dienstleistende, innenarchitektonische Aufgaben übernehmende Künstler heute der Regelfall. Hinzu kommt, dass in letzter Zeit immer mehr Galerien ihre Programmatik auf der Ebene ihrer von Künstlern gestalteten Innenausstattung signalisieren: Die Galerie neugerriemschneider in Berlin ist dafür ein exemplarisches Beispiel.

Auf diese Funktionalisierung von Kunst scheint jene Theke aus dunklem Verschalungsholz anzuspielen, die sich in dem langen Gang der Galerie Nagel befindet. Sie ruft zwar sofort Erinnerungen an von Künstlern gestaltete Bar- oder Café-Situationen auf; markiert aber zugleich eine entscheidende Differenz zu ihnen. Denn hier hat kein Künstler eine kommunikative Situation geschaffen – die Theke dient primär als Büro.

Verlust als Prinzip

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob sich die Eröffnungsausstellung von Kai Althoff „Ein noch zu weiches Gewese der Urian-Bündner“ unmittelbar auf die neuen Räume der Galerie Nagel beziehen würde. Denn die aufgeschichteten, zerschnittenen farbigen Teppichreste wie auch die in den Spanplatten der Wandbilder belassenen Schrauben lassen schon mal Umzugsassoziationen aufkommen.

Tatsächlich ist Althoff diesen Räumen in mehrfacher Hinsicht verbunden – zumal er häufig mit Cosima von Bonin, einer anderen Künstlerin der Galerie, zusammen arbeitete. Doch der monochrome Ton, der während seiner Ausstellungseröffnung zu hören war und den Althoff eigens komponierte, steht zugleich auch für seine Identität als Musiker. Althoff ist Mitbegründer der Kölner Band Workshop, deren Musik mit Krautrock verglichen wurde. Seit den frühen 80er-Jahren hat Althoff in den Bereichen Kunst und Musik agiert und deren Übergänge beispielsweise mit in Ausstellungen integrierten Plattencovern austariert.

Für eine Eröffnungsausstellung scheint sich seine Arbeit auch deshalb hervorragend zu eignen, weil in ihr Verschiebungen von künstlerischen Parametern anschaulich werden. Genauer gesagt sind es bisherige Verständnisse von Vermittlung, Ortsspezifik oder Partizipation, die sich bei Althoff verkomplizieren. So haben die Texte, die Althoff häufig zu seinen Ausstellungen schreibt, nichts mit jenem Typus Künstlertext gemein, der die Arbeiten erklärt oder ein Anliegen formuliert. Tatsächlich wäre es verfehlt, die in diesem Text auf eigenwillige und altertümliche Weise erzählte Geschichte der „Urian-Bündner“ für die Bedeutung der Arbeit zu halten. Der Text gibt vielmehr eine Stimmung vor, die ich als melancholisch im Sinne von Freud bezeichnen würde – irgendetwas haben diese sich gegenseitig fertig machenden Männerbündler abspalten müssen und unwiederbringlich verloren.

Es ist ihre beständige Selbsterniedrigung und Aggressivität, die Althoff auch in seinem Bilderzyklus betont – miteinander kämpfende, Grimassen schneidende und sich gegenseitig in Schach haltende männliche Figuren in greller Atmosphäre mit „fies“ gemalten, fleischfarbenen Gesichtern. Ortsspezifisch ist diese Ausstellung höchstens in einem pragmatischen Sinne, weil sie den räumlichen Gegebenheiten nur formal Rechnung trägt und den Ausstellungsort nicht als Institution reflektiert. Dafür wurde jedes einzelne Ensemble aus gefalteten oder geschichteten Teppichen mit dazu gehörigen Wandbildern – Schwarzweißfotos oder gemalte Bilder auf Spanplatten – strategisch platziert, und zwar an den entscheidenden Blickachsen. Ob der Betrachter nun durch das große Schaufenster den Vorderraum einsieht oder den Gang zum hinteren Raum entlang läuft – vor diesen animiert wirkenden Gebilden scheint es kein Entrinnen zu geben.

Der Begriff des Theatralischen, den Michael Fried für die Minimal Art entwickelte, trifft auf diese Teppichobjekte von Althoff erst recht zu. Nur lässt es sich bei Althoff eben auch genauer bestimmen, wie die für die Minimal Art oder auch bei Performances immer so schnell behauptete Involvierung beziehungsweise Partizipation des Betrachters eigentlich aussieht.

Tatsächlich wirken sich die Teppichskulpturen auf das Betrachterverhalten schon insofern aus, als sie vor die Wandbilder und folglich dem Betrachter an die Seite gestellt wurden. Man ist sich seiner selbst bewusster und fühlt sich beobachtet. Hinzu kommt, dass diese Gebilde irgendwie belebt wirken und zurückschauen – insbesondere die lebensgroß aufgerichtete, rote Teppichskulptur nimmt gestalthafte Züge an.

Diese stummen Begleiter vermögen einen so zu rühren wie ein Tier, in das man menschliche Züge hineinprojiziert. Sie erzeugen eine melancholische Stimmung, weil sie eine körperliche Präsenz suggerieren und dennoch Verlust implizieren. Dies gilt natürlich für Repräsentation generell – das Dargestellte zeichnet sich dadurch aus, dass es unerreichbar bleibt und sich der Darstellung entzieht. Es sieht so aus, als würde Althoff diese melancholische Struktur der Repräsentation mit gedeckten Herbstfarben – pflaumenfarbene Spanplatten, senffarbener Teppich – noch auf die Spitze treiben.

Melancholie

Robert Burton hat in seinem berühmten Klassiker über die Melancholie den Melancholiker als jemanden beschrieben, der Streifzüge durch Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mache – jede dieser Perspektiven ist bei Althoff vertreten. Ein nostalgisch-verklärender Blick wird beispielsweise auf die Familie geworfen – mit Schwarzweißfotos von einem Paar und zwei Kindern, die als ideale Familie aus den 70er-Jahren posieren. Diese Szenen – verständnisvolle Eltern, die ihre Kinder ernst nehmen und mit ihnen interagieren – riefen bei mir Fotobücher über antiautoritäre Erziehung in Erinnerung, die in den 70er-Jahren zirkulierten. Dass sie eine starke Sehnsucht bei mir auslösten, lag in ihrer offensichtlichen Irrealität begründet.

Auch die reine Männerwelt der von Althoff gezeichneten grellen Hölle hat einen extrem derealisierenden Effekt. Dazu passt Judith Butlers Beschreibung der homosexuellen Liebe als einer, die von der Aussicht auf Irrealität heimgesucht würde. Butler zufolge ist Geschlecht eine Form von Melancholie, da geschlechtliche Identität mit einer Verwerfung einhergehe, die nicht betrauert worden wäre. Dass die Ausstellung von Kai Althoff eigentümlich berührt, hat unter anderem auch damit zu tun, dass dieser Verlust in ihr beständig aufscheint. Prinzipiell schwingt natürlich in jeder ästhetischen Setzung ein Verlust mit, was nicht zuletzt auch die neuen Räumen der Galerie Nagel demonstrieren. Kein radikaler Neuanfang wird mit ihnen proklamiert und erst recht keine Stunde null ausgerufen – dafür wohnt ihnen zu viel Geschichte inne. Aus dem, was so nicht mehr machbar ist, wurden die architektonischen, konzeptuellen und künstlerischen Konsequenzen gezogen.

Isabelle Graw

Kai Althoff, noch bis 15. 1., Galerie Christian Nagel, Richard-Wagner-Straße 28, Köln

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen