: Von Istanbul aus ferngesteuert
„Hürriyet“ wechselt den Besitzer. Die Dogan Media Gruppe will ihre Regionalausgaben in der Türkei produzieren und schließt Redaktionen in Deutschland ■ Von Eberhard Seidel
Die in Neu-Isenburg erscheinende Europaausgabe der türkischsprachigen Zeitung Hürriyet hat zum Jahresende ihren Mitarbeitern in Deutschland gekündigt. Gleichzeitig schließt sie auf Grund eines Besitzerwechsels ihre Regionalbüros in Hamburg, Köln und Berlin. Ab dem 1. Januar 2000 übernimmt die Dogan Media Gruppe (DMG), der größte türkische Medienkonzern, die Druck- und Vertriebsrechte der Hürriyet-Europaausgabe von Erol Simavi, der in der Schweiz lebt. Damit kontrolliert die DMG, die bereits seit 1992 die Türkeiausgabe von Hürriyet herausgibt, 70 Prozent der türkischsprachigen Presse in Deutschland. Denn neben Hürriyet, mit einer Deutschlandauflage von rund 110.000, gibt die DMG auch Milliyet mit einer Auflage von knapp 20.000 heraus.Der Konzern betreibt unter anderem auch den privaten Fernsehsender Kanal D und seit Oktober gemeinsam mit Time Warner Brother CNN-Türk.
Entlassene Redakteure ziehen vors Arbeitsgericht
Neun entlassene Redakteure ziehen nun vor das Arbeitsgericht Offenbach. Über ihre Klage wird am 26. Januar verhandelt. Die angebotenen Abfindung von 3.200 Mark pro Jahr der Betriebszugehörigkeit sei vor allem für altgediente Redakteure zu wenig, so ihre Argumentation. Der Betriebsrat sieht das anders. Er stimmte dem Sozialplan der neuen Herausgeber bereits vor einem halben Jahr zu.
„Kein Wunder“, so Erdogan Salgiboyu, einer der Kläger. „Für Arbeiter im Vertrieb oder der Druckerei, die 4.000 Mark brutto im Monat verdienen, mag das in Ordnung sein, nicht aber für langgediente Redakteure mit einem Bruttogehalt bis zu 10.000 Mark.“
Salgiboyu hält vor allem die betriebsbedingte Kündigung der Belegschaft für unrechtmäßig. Bei dem Besitzerwechsel handele es sich in Wahrheit um eine Betriebsübernahme, da die Verlagsarbeit im Grunde unverändert weitergeführt werde.
Das sieht die neue Geschäftsführung anders. Die Herausgeberschaft der Europaausgabe von Hürriyet wurde von der Hürriyet International GmbH auf die DMG GmbH übertragen. Beide Firmen behaupten, keine rechtliche Bindungen zu haben. Bereits vor Monaten kündigte die Dogan-Gruppe darüber hinaus an, dass die gesamte redaktionelle Arbeit ab Januar in der Türkei stattfinden werde und deshalb in Deutschland keine Redakteure mehr benötigt würden. Die Seiten sollen künftig komplett in der Türkei produziert und via Satellit in deutsche Druckereien übertragen werden.
Wie die Zentralredaktion für die drei deutschen Regionalausgaben von Hürriyet (Nord, Süd, Berlin) über das gesellschaftliche und das politische Leben der Deutschtürken von Istanbul aus recherchieren und berichten will, ist nur auf den ersten Blick ein Rätsel. An Stelle der Regionalbüros werden nämlich ab Januar Dogan-Nachrichtenagenturen in Hamburg, Berlin und Köln eröffnet. Betrieben werden sie von ehemaligen Hürriyet-Redakteuren, die ihrer Entlassung zustimmten und nun für die DMG-GmbH arbeiten. Zu schlechteren Konditionen und unter Hinnahme des Verlustes ihrer sozialen Besitzstände.
Nicht alle Mitarbeiter von Hürriyet sehen den Besitzerwechsel nur unter dem gewerkschaftlichen Gesichtspunkt. „Ich wünsche mir, dass sich mit dem neuen Herausgeber die Berichterstattung endlich den journalistischen Standards in Deutschland annähert“, meint ein ehemaliger Mitarbeiter des Berliner Redaktionsbüros. „Was wir brauchen, ist eine türkischsprachige Zeitung, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nicht nur aus dem türkischen Blickwinkel betrachtet, sondern zu einer Zeitung der hier Ansässigen wird.“
Seiten kommen via Satellit in deutsche Druckereien
Erdogan Salgiboyu glaubt allerdings nicht daran, dass sich an der Berichterstattung des als liberal-national geltenden Blattes viel ändern wird. So soll der in Istanbul lebende ultranationalistische Kolumnist, Ertug Karakullukçu, auch weiterhin in der Europaausgabe gegen deutsche Politiker, Journalisten und türkische „Vaterlandsverräter“ hetzen dürfen. Karakullukçu, der neben Cem Özdemir, Claudia Roth, Klaus Bednarz und Ruprecht Eser auch taz-Autoren als „Hirnprostituierte“ und „niedere Kreaturen“ bezeichnete, sorgt in regelmäßigen Abständen für atmosphärische Störungen im deutsch-türkischen Dialog.
Nicht zuletzt wegen Karakullukçu ist Hürriyet unter Deutschtürken so populär, da sich die Zeitung als entschiedener Wortführer der türkischen Minderheit präsentiert. Das von Deutschland entworfene Bild hat häufig einen dezidiert negativen Beigeschmack, und das Thema vom Türken in der feindlichen Fremde wird in allen erdenklichen Variationen ventiliert.
„Ein Hoffnungsschimmer bleibt“, so der ehemalige Berliner Mitarbeiter. „Die älteren, teuren und in der Regel unproduktiven Mitarbeiter, die zwar gestandene Journalisten waren, aber die neueren Entwicklungen verschlafen haben, sind gekündigt. Die Kollegen, die übernommen wurden, sind die dynamischeren, die auch für ein positiveres Verhältnis zur bundesdeutschen Gesellschaft stehen.“ Ob sich eine differenzierte Berichterstattung dann auch noch gut verkauft, bleibt allerdings abzuwarten.
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