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Garantiert millenniumsfreie Jahresendzeitbetrachtung ■ Von Susanne Fischer
Gehen Sie mir bloß weg mit der, ich sag mal, Millenniumskacke. Ich will mir weder anhören, dass ich morgen in ein neues Jahrtausend falle und deswegen für ein Eintrittsgeld von DM 2000 auf eine saublöde Party mit kranker Musik gehen soll, noch möchte ich vernehmen, wie das nächste Jahrtausend in Wirklichkeit erst in einem Jahr usw. Ich möchte auch keine Leute mehr hören, die andauernd „ich sag mal“ sagen. Sie sollen sagen, was sie sagen wollen, und Schluss. So geht’s doch auch.
Dass das Weltenende über uns hereinbricht, ist mir sowieso klar. Ich sag mal: Erst der Heizungsbrenner und dann die Abwasserleitung. Ich kann die Zeichen deuten, wenn ich sie sehe. Sie sagen: Susanne, grabe ein tiefes Loch. Krieche Silvester hinein. Komme Neujahr wieder heraus und verlege eine neue Abwasserleitung. Falls du zwischendurch Zeit hast, besuche lieber einen Klempnerkurs. Das kann nicht schaden.
Natürlich hat niemand zwischen Silvester und Neujahr Zeit. Da müssen die Damen schließlich von den Stühlen hüpfen und sich von den Herren auffangen lassen. Danach wird der Käse-Igel geplündert, schließlich auch noch mit Bleiklumpen geworfen. Ich bin nämlich ein Alien, was Silvesterfeiern angeht, ich komme aus den 60ern. Damals war die Welt noch rund. Beim Bleischmelzen über der Kerzenflamme wurde mir immer der Arm lahm, sodass ich meine Bleiklumpen nur halb geschmolzen vom Löffel in das kalte Wasser gleiten ließ. Da sollten sie dann eine Zukunft darstellen, und meine sah oben aus wie ein zerfließendes Glücksschwein und unten wie etwas, das schlimme Krätze hat, auch innen. So war es dann ja irgendwie auch. Nicht dass ich mich beschweren will. Im Grunde stört mich nur, dass das neue Jahr immer so blitzschnell wieder das angefangene, das halb vergangene und dann das alte Jahr wird. Kurz nach Weihnachten findet man schließlich das eine Bleibeinchen vom Krätzeschwein wieder, das schon beinahe seinen ersten Geburtstag feiert. Deswegen muss man dann gleich etwas Langweiliges denken, zum Beispiel: „Warum kriege ich eigentlich immer das Krätzeschwein?“
Gern sagen die Leute auch, sie würden sich „zwischen den Jahren“ ein wenig ausruhen. Dass damit die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester gemeint sein soll, leuchtet beinahe noch ein, weil ja Weihnachten eine Art Ende ist, nämlich das Ende einer Zeit voller Weihnachtsfeiern und hektischer Sentimentalitäten. Die Vorstellung, man dürfe danach etwas verschnaufen, noch dazu in einer Zeit, die praktisch nicht gerechnet wird, finde ich nicht unsympathisch.
Warum ich allerdings neuerdings hören muss, „zwischen den Tagen“ würden keine Heizbrenner repariert, weil es sich auch der Handwerker einmal richtig gemütlich machen wolle, weiß ich nicht. Offenbar haben auch Heizungsmonteure ihre Tage. Ich weiß nur eins: Zwischen den Jahrtausenden bin ich auf Urlaub, sag ich mal. In einem gemütlichen tiefen Loch. Das buddele ich dort, wo sie nicht an Herrn Jesus und seine Zeitrechnung glauben. Wo das Lebensalter eines Menschen nach den abgenagten Knochen gerechnet wird, die er neben sich aufgeschichtet hat. Die Abwasserleitung für die Millenniumskacke muss jemand anders bauen. Dringend. Und damit Schluss.
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