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Sonst steht’s am Ende in der Zeitung
Nora (12) kennt ihre Rechte und Pflichten. Sie weiß, dass man bei Presseterminen manchmal komische Sachen machen muss. Also steigt sie im gediegenen Café Möhring auf einen Stuhl, wenn der Fotograf das wünscht. Aber sie ist nicht bereit, ewig zu posieren: „Ich habe genau 239 Blicke pro Tag zur Verfügung“, teilt sie ihm mit, „und mehr als hundert sind für dich nicht drin.“ Nur damit er sich gleich darauf einstellen kann. Danach ist Schluss.
Denn gewisse Regeln muss man beachten. Genau fünf Stunden pro Woche darf sie zu Hause fernsehen, Ausnahmen nur im Krankheitsfall, das sieht und hält sie ein: „Auch wenn meine Mutter nicht da ist.“
taz-Reporterin Bettina Gaus kann ihrer Tochter vertrauen. Die nur einen einzigen, legalen Trick anwendet: In den Werbepausen schaltet Nora ab oder geht aus dem Zimmer. So wird kostbare Zeit gespart und es reicht vielleicht noch für die nächste Folge von „Liebling Kreuzberg“. Den schaut sie sich oft an, weil sie Manfred Krug mag und Rechtsanwältin ihr Berufsziel ist: „Ich möchte unbedingt eine Robe tragen.“
Ein Job in Amerika kommt deshalb vorerst nicht in Frage, obwohl sie gerne mal dort wohnen würde: „Die USA müssten erst die Robe einführen.“ Gut möglich, dass die Amerikaner ihre Bedingung erfüllen und die Kleiderordnung ändern. Nora hat ein Lächeln, bei dem für Sekundenbruchteile ein Schneidezahn aufblitzt und der sturste Bürokrat dahinschmilzt.
Und sie scheint sich mühelos in einer neuen Umgebung zurecht zu finden. Über Berlin spricht sie, als hätte sie schon immer hier gewohnt. Dabei hat sie sieben Jahre in Kenia gelebt, drei Jahre in Bonn und ist erst vor ein paar Monaten in die neue Hauptstadt gezogen. „Kenia war schön, aber Deutschland hat den Vorteil, dass ich mich hier freier bewegen kann, weil es nicht so gefährlich ist, nachts durch die Straßen zu laufen.“
Natürlich vermisst sie ihren Vater und ihren besten Freund, die beide in Kenia geblieben sind – aber soo sehr auch wieder nicht: „Zweimal im Jahr fliege ich ja hin, und mein Vater und ich schreiben uns fast jeden Tag E-Mails.“
Ihm hat sie wahrscheinlich auch verraten, wie der Junge in ihrer Klasse heißt, in den sie sich verknallt hat. Gegenüber der Presse hält die erfahrene Journalistentochter dicht: „Sonst steht es am Ende in der Zeitung.“ Und das will sie nicht. Schlimm genug, dass sie dem betreffenden Knaben wegen einer Wette mal was Nettes sagen musste: „Aber das habe ich am nächsten Tag sofort dementiert.“ Nun befürchtet sie ein bisschen, dass sie ihn vergrault hat: „Dann habe ich ein Problem.“
Kein Problem sind für sie die Prophezeiungen, dass am 1. 1. 2000 um Mitternacht die Welt untergeht: „Das ist doch schon allein wegen dem Zeitunterschied unlogisch. Da müsste die Welt ja in lauter kleine Teile explodieren.“ L.W.
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