: „Der letzte schlimme Winter“
Und dann: Auf Nimmerwiedersehen, Milosevic! Die Theaterautorin Biljana Srbljanovic über die schizophrene Situation der Serben und ihre Hoffnung auf Besserung der Lage
„Familiengeschichten. Belgrad“ und „Belgrader Trilogie“, die Theaterstücke der Belgrader Autorin Biljana Srbljanović (29), sind überall an europäischen Theatern zu sehen. Mittlerweile hat sie ein drittes Stück geschrieben, dessen Uraufführung sie nur auf einer serbischen Bühne erlaubt. Die Regierung in Belgrad hat allerdings alle ihre Stücke von den Spielplänen gestrichen.
taz: Wie wird der Winter in Belgrad werden?
Biljana Srbljanović: Ja, das sagen Sie mir bitte! Wenn nichts passiert, wird es furchtbar werden. Die Inflation ist bei 50 Prozent. Es gibt wenig zu essen und keinen Strom. Aber ich glaube immer noch, dass es der letzte schlimme Winter in unserem Land wird. Das nächste Jahrhundert wird besser!
Milošević wird nach diesem Winter erledigt sein?
Ich prognostiziere jedes Jahr, dass das sein letztes sein wird. Offenbar bin ich nicht wirklich gut in solchen Vorhersagen. Aber diesmal bin ich sicher. Und dann: Auf Nimmerwiedersehen!
Was macht Sie so sicher? Es sieht so aus, als hätte Milošević trotz vier verlorener Kriege und wirtschaftlicher Depression noch genügend Anhänger.
Niemand weiß genau, wie viele Anhänger Slobodan Milošević wirklich hat. Jede Kommunalwahl ist gefälscht. Wir haben keine unabhängigen Umfragen zur politischen Stimmung im Land. Aber es gibt immerhin eine vergleichende Untersuchung, die ich für ziemlich glaubhaft halte. Danach führt Milošević’ Partei mit nur 0,5 Prozent vor den oppositionellen Parteien. Wenn wir freie Wahlen hätten, würde Milošević verlieren.
Wie sehen sich die Serben selbst? Zuerst verspricht ihnen einer das neue Großserbien, dann erfahren sie die Niederlage durch das Bombardement der Nato.
Wir hatten die Nato als äußeren Feind, und waren ihr Opfer, aber der mächtigste Feind kommt von innen. So viele Dinge wurden im Namen der Serben getan. Das ist eine schizophrene Situation: Die meisten Serben fühlen sich hauptsächlich als Opfer; andererseits ahnen sie, dass sie in irgendetwas Schlimmes verwickelt sind.
Milošević hatte für seine großserbischen Ziele die Unterstützung der Mehrheit. Wie hat er das gemacht?
Ich bezweifle, dass es die Mehrheit war. Die Gegner Milošević’, die Antikriegsbewegung in Serbien, wurde nur nicht wahrgenommen. Wir erhielten keine Hilfe von außen. Aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund, wieso Miloševic’ Propaganda so wirkungsvoll war: Serbien hat einen Prozentsatz von 35 Prozent Analphabeten. Das ist weit über der europäischen Norm. Diese Leute sind auf Fernsehinformationen angewiesen. Und unser Fernsehen ist streng staatlich dirigiert und sagt jeden Tag das Gleiche.
Was denn?
Dass Serben etwas Besonderes sind! Milošević beherrscht die Goebbels-Methode der Propaganda. Sein Rezept: Sage armen, ungebildeten Leuten durchs Fernsehen, dass sie was Besonderes sind, und sie glauben es. Es ist wie Massenhypnose.
Fühlen Sie sich als Serbin?
Ich würde nie sagen, dass ich Serbin bin. Ich bin Bürgerin dieses Landes. Nicht dass ich Gefühle für dieses Stück Erde hätte, aber ich habe Gefühle für die Menschen da. Das sind Menschen, die leiden. Nicht nur, weil sie Opfer sind, sondern auch weil sie Täter waren. Es ist ein oft unterschätztes ethisches Problem, das da auf uns zukommt: das Leiden auf Grund von Schuldbewusstsein. Ich denke, wir sollten Täter nicht bestrafen, sondern ihnen helfen, sich zu vergegenwärtigen, was sie getan haben.
Sie gelten als Pazifistin. Ist das unter Diktatoren nicht eine luxuriöse Haltung?
Dass ich unter allen Umständen Pazifistin bin, würde ich auch nicht sagen. Glücklicherweise musste ich nicht vier Jahre in Sarajevo unter ständigem Sniper-Beschuss leben. Ich weiß nicht, was dann mit mir passiert wäre. Aber eines weiß ich: Ich habe bis jetzt meine Mordlust immer erfolgreich bekämpft. Und solche Gefühle hatte ich durchaus während der Phase des Nato-Bombardements. Es kamen auch schon Tage, an denen ich aufwachte und dachte: Heute könnte ich Milošević mit meinen eigenen Händen umbringen. Ich versuche, mir klar darüber zu werden, was da in mir vorgeht. Am Ende komme ich immer wieder darauf: Pazifismus ist für mich die beste Lebensphilosophie.
Bei einem Vortrag in Hamburg haben Sie kürzlich davon gesprochen, dass jeder im Saal an dem Desaster im Balkan beteiligt ist. Indem er hier Steuern zahlt, Zeitung liest.
Man muss immer aufpassen, wenn man einen Nachbarn hat, der elend ist und Probleme hat. Denn wenn du einen Nachbarn mit Problemen hast, dann wirst du auch bald welche haben. Und wer sich beteiligt fühlt, ist wachsam. Ich bin auch beteiligt an diesem Krieg. Weil ich in Belgrad lebe und mich vor den Bomben versteckt habe. Ich bin aber auch beteiligt an diesem Krieg, weil ein Soldat in meinem Namen Menschen vertrieben hat. Weil in meinem Namen Menschen gestorben sind. Obwohl ich gegen den Krieg kämpfe, bin ich ein Teil davon.
Interview: Brigitte Neumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen