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Einmal Camel ohne Höcker

■ Jens Cordes darf bleiben, aber sein Traditionskiosk an der Schlachte wird aufgemöbelt

Trotz des Wetters, das die kalte Luft sozusagen direkt von der Weser durch die Zehn-Quadratmeter-Welt des Jens Cordes pfeift, gibt es keine Frage, die so absurd ist, dass er keine Antwort mehr weiß. Auf „Wir kommen von auswärts, muss man hier auf beiden Straßenseiten einen Parkschein lösen?“, folgt ein promptes „Wissen Se was, da kümmert sich im Moment eh keiner drum“, auf die Bitte nach der Schachtel Camel der Kalauer „Mit Höcker oder ohne?“, auf den Hundert-Markschein, der im Tausch für die Schachtel durchs Fenster gereicht wird „Wolln Se die Pfennige zurück gerollt oder geht's so?“.

Trotz – oder gerade wegen – des Umbaus der Schlachte zur vornehmen Flaniermeile ist Jens Cordes, der bei Wind und Wetter in seinem in die Jahre gekommenen weiß-roten Kiosk steht, im Kiez eine echte Institution. Er weiß, wann der Nachbar vom Teerhof gegenüber, dem er immer schon morgens um sieben die zwei Schachteln HB und das Wechselgeld bereit legt (offenbar gibt es Menschen, die täglich mit einem 20-Mark-Schein bezahlen), in Urlaub ist, und auch die Schichten der Angestellten in den Büros gegenüber, die bei ihm bis zu 20 belegte Brötchen bestellen, kennt er. Ein gewisser Rhythmus müsse schon sein, sagt Jens Cordes, schließlich gewöhnt man sich aneinander, und wenn jemand zwei Wochen nicht kommt, fängt man eben an, sich Sorgen zu machen.

Im Gegenzug könnte sein Service kaum fixer sein: Als ein älterer Herr mit Hut noch 20 Meter entfernt ist, hat Cordes den Schokoladenriegel, der gleich gekauft werden wird, schon in der Hand und wenn von Gegenüber zwei Kisten Wasser bestellt werden, dann klappt er auch schon mal für ein paar Minuten die Lade runter und schleppt sie persönlich rüber. „Ich mach schon einiges für meine Kunden“, attestiert der 31jährige sich auch nicht ganz ohne Stolz selber – darunter auch einiges, was hart an der Grenze ist. Es gäbe Kunden, erzählt er, die brächten ihm ihre leeren Bierflaschen, die sie gar nicht bei ihm gekauft haben: „Schmeiß die doch mal zum Altglas, für sowas hab ich keine Zeit.“ Was tun? Einen Kunden vergrätzen, der schließlich auch Geld einbringt? Oder gute Miene zum bösen Spiel machen. Cordes hat sich für den Mittelweg entschieden: „Ich schmeiß das Zeug schon weg, aber ich sag ihm auch, dass er mir ja eigentlich auch seine leeren Kippen-Schachteln bringen könnte.“

Seit ein paar Wochen ist auch die Zukunft des Kioskbesitzers wieder gesichert: Sämtliche Gerüchte, der expo-gerechten Aufwertung der Schlachte würde auch der im Vergleich zu seiner Umgebung doch etwas schäbig wirkende Kiosk zum Opfer fallen, bewahrheiteten sich nicht. Cordes, der „lügen müsste, wenn ich wüsste, wie alt das Ding ist“, aber glaubt, dass es seit Kriegsende steht, darf bleiben. Dafür eingesetzt hat sich außer ihm als Pächter der Eigentümer, die „Bremische“, die den Kiosk im kommenden Jahr einer Komplett-Renovierung unterziehen will. Danach soll der Laden in neuem Glanz erstrahlen, ohne Gitter, dafür mit einbruchsicheren Scheiben und mit Stehtischen.

Letztere dürften vor allem den Bierstand-Betreibern des Kajenmarkts im kommenden Sommer Dornen in den Augen sein. Schließlich gibt's das Bier bei Cordes für 2,50 Mark, an den schönen Ständen mit Musik gleich nebenan für deutlich mehr. Irgendjemand ließ es sich im vergangenen Jahr nicht einmal nehmen, Cordes anzuzeigen, weil vor seinenm Kiosk trinkende Kunden standen, was laut Gesetz verboten ist. Das, sowie eine weitere Anzeige wegen Sonntags-Verkaufs, brachten ihn um 1.000 Mark.

Seither hat Cordes, der mit seinen Öffnungszeiten plus Einkauf und Buchhaltung ohnehin schon locker auf eine 60-Stunden-Woche kommt, sonntags geschlossen. Das wurmt ihn zwar, weil ihm auf diese Weise die sonntäglichen Ausflügler entgehen. Dafür, sagt er, macht er sich vor seinen Stammkunden nicht zum Volltrottel. Denn laut Ladenschlussgesetz darf er zwar am Sonntag öffnen – dann aber nur Zeitungen verkaufen. „Was solln die denn denken, wenn ich sage, tut mir leid, Zigaretten gibt's erst morgen wieder.“ Wolfgang Brakhane vom Einzelhandelsverband Nordsee kennt das Problem: „Wenn Sie ihren Kiosk nicht als rein gastronomischen Betrieb führen, beißt die Maus da keinen Faden ab“, so Brakhane. Einzige Ausnahmen sind Kioske, die in Bahnhöfen oder auf Tankstellen untergebracht sind. Brakhane trocken: „Die dienen nämlich der Ertüchtigung der Reisenden und Fahrenden.“

Dennoch, Jens Cordes kann sich ohne weiteres vorstellen, in seinem kleinen Reich alt zu werden. „Hier tanzt mir wenigstens keiner auf der Nase rum“, lacht er und erinnert sich unter Schaudern an die zwei Jahre zurück, in denen er im Lagerhaus Kisten gestapelt hat. „Ich lass mich ja gerne belehren“, erinnert er sich an damalige Chefs, „aber wirklich nur ungern von jemandem, der besoffen ist.“ In seinem Leben vor dem Lager lernte der gebürtige Gröpelinger Koch, jobbte als solcher auch eine Weile rum und hatte schließlich die Nase voll, weil seine Freundin ständig auf netten Parties tanzte, während er am Wochenende Schicht schob. Immerhin, ein biss-chen was aus der alten Zeit ist ihm geblieben: Die Brötchen, die er in seinem Kiosk verkauft, sind selbst gebacken. Jeannette Goddar

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