Zwischenruf: Hysterische Albernheit am Sielwall-Eck

Auch in diesem Jahr trafen in der Sylvesternacht „Gut“ und „Böse“ an der Sielwallkreuzung auf einander. Allerdings nicht in der gewohnten Rollenverteilung, denn die schwarzen anarcho-PfadfinderInnen standen untätig schmollend in der Ecke, ließ es die Polizei doch wieder nicht zu, dass sie ihr rituelles Lagerfeuer auf der Kreuzung abfackelten. Aber das Böse brach sich trotzdem seine Bahn, nahm Besitz von unschuldigen PassantInnen und trieb diese dazu, die Kreuzung bei rotem Ampellicht zu überqueren.

Zum Glück war eine Hundertschaft Polizei und Bundesgrenzschutz vor Ort, um diesem schändlichen Tun Einhalt zu gebieten. Dafür hatten sich an jeder Ampelanlage zwanzig Schutzmänner in Position gebracht. Immer wieder hörte man die ermahnenden Worte: „Wenn die rote Lampe leuchtet, nicht über die Straße gehen. Tun Sie das bitte, bitte, nie, nie, wieder.“

Man sah gutmütige, alte Beamte, die mit pädagogischem Eifer auf bekannte notorische Eckensteher, die hier sonst verbotene Dinge tun, einredeten. Auf diesen mitternächtlichen Verkehrsunterricht reagierten die Belehrten mit reuigem Kopfnicken. Alle wollten von jetzt ab immer artig sein.

Natürlich war niemand auf dieses psychologische Ideenfeuerwerk seitens der Polizei vorbereitet, und so führte die Verwirrungstaktik zum Erfolg. Statt Gewalt und Aggression herrschte am Sielwalleck in der Sylvesternacht eine Stimmung hysterischer Albernheit, wie man sie nur von Schulklassen auf Ausflug kennt. Die Polizei hat mit ihrer Strategie die kleinste Einheit des „Bösen“ – das bei-rot-über-die-Straße-gehen – im Keim erstickt.

In der amerikanischen Soziologie ist der Begriff des „Broken Window Syndroms“ schon lange bekannt. Diese Theorie besagt: Erst geht man bei rot über die Straße, dann fährt man schwarz Straßenbahn, dann ist auch das Kapitalverbrechen nicht mehr weit.

Zum Glück ist die Steuerungsanlage der Ampel in der Sylvesternacht nicht ausgefallen, sonst hätte es wieder böse ausgehen können, am Sielwalleck.

Michael Jungblut (Text&Foto)