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Sperrige Musik für die Insel

Andreas Schmidt bezirzt Musikerlegenden per Anrufbeantworter, diniert mit illustren Kollegen und nennt seine neue CD „berlin, 1999“. Reich wird der Pianist und Komponist damit wieder nicht werden ■ Von Thomas Gläßer

Lee Konitz, den großen Cool-Jazz-Saxophonisten, hat er vor fünf Jahren auf einem Konzert getroffen. Man verbrachte den Abend zusammen, und als sich herausstellte, dass Konitz für die nächsten Tage nichts vorhatte, folgte er spontan einer Einladung zu Andreas Schmidt nach Hause. Konitz blieb für eine ganze Woche. „The man who came to dinner and stayed for a year“, freut sich Schmidt. Für den zweiunddreißigjährigen Pianisten und Komponisten zählt Konitz zu der Handvoll Musikern „für die einsame Insel“.

Wir sitzen anlässlich der Veröffentlichung von Schmidts neuem Album „berlin, 1999“ am S-Bahnhof Charlottenburg beim Inder. Die Kälte und der prasselnde Regen sind draußen geblieben, die „Vegetarische Platte für Zwei“ ist der Ausführlichkeit unseres Gesprächs gerade angemessen. Es gibt viel zu erzählen und immer erfreuliche Geschichten, bei denen alles ganz einfach geht: Wie 1990 sein erster Klavierunterricht bei den AusnahmepianistInnen Aki Takase und Walter Norris seinen Wechsel vom Schulmusikstudium mit Hauptfach Saxophon zum Studiengang Jazzklavier einleitete; wie er sich kurz darauf mit Hilfe seiner Eltern und nach Veräußerung sämtlicher Saxophone und anderer Habseligkeiten einen nagelneuen Steinway-Flügel leistete oder wie er in New York den Anrufbeantworter des legendären Pianisten Paul Bley so bequatschte, dass der tatsächlich zurückrief. Sein Studium an der Hochschule der Künste hat er im Sommer 1998 bravourös abgeschlossen, mit Bley steht er immer noch in freundschaftlichem Kontakt.

Die schönste Geschichte aber ist die von Konitz und mit dem einwöchigen Abendessen noch lange nicht zu Ende. Der berühmte Mann blieb also, wurde Ohrenzeuge von Schmidts Kompositionen, sie spielten zusammen, und schließlich bat Konitz Schmidt um ein eigens für ihn konzipiertes Projekt. So entstand 1995 Schmidts erste CD „Haiku“, orientiert an der skizzenhaften Knappheit dieser japanischen Kurzgedichte und an der kontrapunktischen Spontaneität des Cool Jazz der frühen sechziger Jahre. Es geht um die Melodie, um Linien, die sich überlappen und verknäueln, kontrastieren und kommentieren, Fragment bleiben. Die Kritik war begeistert.

Spätestens hier würde die Geschichte im Märchen anders weitergehen. Doch von „Haiku“ werden nur ein paar hundert Stück verkauft, Schmidt wird nicht reich, auch nicht berühmt und geht schon gar nicht in die große weite Welt. New York hat er im Rahmen eines Kompositionsstipendiums des Berliner Senats kennen und dadurch das musikerfreundlichere, stressärmere Berlin noch mehr schätzen gelernt. Hier ist er ein anerkannter Protagonist der lokalen Szene und nie um bezahlte Auftritte verlegen. Den Rest der Miete für die Wohnung am Sophie-Charlotte-Platz, die er sich mit einer Mitbewohnerin teilt, bestreitet er aus seinen Einkünften als Klavierlehrer und Korrepetitor.

Auf „berlin, 1999“ schöpft er aus vielen Quellen, verwendet Tangoanklänge, zitiert per CD Miles Davis und Bruno Ganz, lässt Schlagzeuger Heinrich Köbberling einen Drum & Bass-Groove andeuten, bearbeitet Jazzklassiker wie „Stella By Starlight“. Sperrige Musik, gekennzeichnet von Schmidts verwinkelten Themen, seiner außergewöhnlichen Harmonik und perlend-singenden Phrasierung. Dazu sprechen Sängerin Celine Rudolph und De-Niro-Synchronsprecher Christian Brückner Texte auf deutsch, englisch, französisch und portugiesisch. Die Skizze einer Liebesgeschichte. Flüchtige Andeutungen, Atmosphären, lose vernüpft an der verwischenden Grenze zwischen Traum, Realität und Erinnerung. „berlin, 1999. zurück. gesichter. farben. geschwindigkeiten. ich?“ Ein vielschichtiger Hörfilm entsteht.

Und auch hier wirkt wieder ein Inselmusiker mit: Gary Peacock, Bassist des Keith Jarrett Trios. Trotzdem ist die intensive Suche nach einem zugkräftigen Label erfolglos geblieben. Andreas Schmidt macht vor allem die schwere Verortbarkeit des Projekts zwischen Jazz und Hörspiel dafür verantwortlich. Aber die Arbeit an der Platte hat viel Spaß gemacht, mit dem Ergebnis ist er sehr zufrieden. Kommerzieller Erfolg war sowieso nicht eingeplant. Sollte die Miniauflage von fünfhundert Stück verkauft werden, wäre das schon ein Erfolg.

Eine Zeit lang konnte man Dienstag abends im A-Trane erleben, wie Schmidt mit Jugendfreundin Anka Suckow, die sonst in einer Metalband aktiv ist, gemeinsame Lieblingssongs von Joni Mitchell, Sheryl Crow oder Sting interpretierte. Vor einem großen, gemischten, begeisterten Publikum. Ähnlich soll auch sein nächstes Projekt werden: Interpretationen von außergewöhnlichen Popsongs – mit gebührendem jazzigem Abstand und Eigenwillen. Als Sängerin, die die Fußstapfen von Tori Amos oder Paul Simon ohne allzu große Ehrfurcht füllen kann, käme zum Beispiel seine portugiesische Bekannte Maria Joao in Frage. Und: „Ich würde so gerne einen Song mit Madonna aufnehmen.“

CDs: Andreas Schmidt, „Haiku“. (Nabel 1995) Mit Konitz/Granelli/Mahall; Andreas Schmidt feat. Gary Peacock „berlin, 1999“ (zerozero 1999). Mit Rudolph/Brückner/Thieke/Anderson/KöbberlingUnter www.zerozero.de sind Hörproben von Andreas Schmidt abrufbar. „berlin, 1999“ (ohne Gary Peacock) wird am 28. Januar im Parkhaus, Treptow aufgeführt

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