: Das Regelloseste, was es gibt
■ Osho, der Prophet aller Sannyasins, ist schon seit zehn Jahren tot. Oder anderswo. Trotzdem verdanken ihm auch BremerInnen viel. Eine von ihnen hieß im früheren Leben mal Kerstin Konrad*. Ein Portrait
Ihr Tonfall kann eisig sein. Und wenn ab und an die tiefe Falte neben dem Mund zum Vorschein kommt, ist ihr Misstrauen gegen alles und jeden unübersehbar. In solchen Momenten ist Kerstin Konrad* wieder jene Frau, die sie schon vor langer Zeit beerdigt hat. „Ich war ein Soldat“, sagt die 41-Jährige über ihr früheres Wesen. Um sich geschlagen habe sie, ständig. Auch wenn keiner da war, den sie hätte treffen können. „Und dann habe ich eben mich selbst getroffen.“
Alles ging ihr nahe. Immerzu habe sie geweint. Das ganze sinnlose Leben ein einziger Schmerz, in dessen Mittelpunkt sie selbst stand. „Ich war der traurigste Mensch der Welt.“ Damals. – Und jetzt? Sie lacht. „Ich brauche mein altes Ich nicht mehr. Es war ein Gefängnis. Jetzt warte ich einfach ab, was mit mir geschieht. Und entspanne mich.“ Dank Bhagwan.
Ihm verdankt Kerstin Konrad alles. Bhagwan, der sich später Osho nannte – jener „Sex-Guru“, selbsternannte Prophet und Sektenführer, der sich auf Kosten seiner Jünger diamantbesetzte Uhren und 96 Rolls-Royce leistete. So sahen das damals jedenfalls seine Kritiker und vor allem die Medien. Damals, das heißt: vor Oshos Tod im Jahre 1990. Kerstin Konrad, die sich seit Beginn ihres „wirklichen Lebens“ Maha Patra nennt, ist eine seiner Anhängerinnen, eine Sannyasin. Bezeichnungen für Osho wie „Sex-Guru“ oder „reichster heiliger Mann der Geschichte“ findet sie lächerlich: „Natürlich hat Osho die Öffentlichkeit auch provoziert, aber das diente doch einem ganz klaren Zweck: Es war eine Verulkung des westlichen Materialismus und der so genannten Intellektuellen, die diesen Scherz nicht verstehen konnten.“
Zu den Intellektuellen und allgemein zum Verstand hat Maha Patra seit ihrer Begegnung mit dem berühmten Inder ein sehr skeptisches Verhältnis. Sannyasinsein sei eine Sache des Herzens. „Mit dem Kopf kommst du da nicht ran.“ Und das, obwohl sie selbst einmal so etwas wie eine Intellektuelle war: Sie studierte Lehramt, las die taz, war in der Frauenbewegung aktiv und ging auf Demonstrationen.
Dass sie dem LehrerInnenberuf nervlich nicht gewachsen war, bemerkte sie schon früh. Bei ihrem Referendariat bekam sie einen Schock: „Wie kaputt die Kinder alle schon waren. Einer kam jeden Tag mit einem Messer in die Schule. Eine andere hatte immer eine Schachtel Thomapyrin bei sich, die sie in sich hineinstopfte wie Bonbons.“ Nachdem ihr eine Wahrsagerin geraten hatte, etwas Handwerkliches, Bodenständiges anzufangen, damit sie sich ihre vielen utopischen Ideen aus dem Kopf schlüge, begann sie schließlich eine Lehre als Tischlerin.
Sie zog zu Hause aus und ging in die Kollektivszene nach Berlin, hatte jedoch immer noch viele depressive und grüblerische Phasen. In einem dieser Momente las ihre Schwester ihr einen Abschnitt aus Bhagwans „Der Weg der weißen Wolke“ vor. Und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl: Derjenige, der das geschrieben hat, versteht mich.
Mit 28 Jahren fuhr sie nach Pune, dem Zentrum der Sannyasin. Dort lernte sie acht Menschen kennen, denen es ähnlich ging wie ihr. Heute wohnt sie mit ihnen zusammen im „Viertel“ in einem Altbremer Haus, das sich die Gruppe vor zwei Jahren gekauft hat. Die Berufe ihrer zwischen 23 und 56 Jahre alten MitbewohnerInnen sind so unterschiedlich wie ihre Herkunft und ihre Familiengeschichte. Doch allen ist eines gemeinsam: „Wir haben“, sagt Maha Patra, „in der Vergangenheit viel Leid erfahren.“
Nicht jeden hat es dabei so schlimm getroffen wie sie selbst. „Eine Familie“, sagt sie kalt, „habe ich nie gehabt.“ Ihre Eltern hätten sich 50 Jahre bekriegt, ihre Mutter habe unter Depressionen gelitten. „Soweit ich mich erinnere, hat sie eigentlich immer nur geweint und von Selbstmord gesprochen“. Ihr Vater sei nie erwachsen geworden und habe die Familie damit gequält. Und mein Bruder hat sich nach seiner Scheidung in der Psychiatrie umgebracht. Er konnte nicht mit sich alleine sein. So wie ich früher auch.“
An eine familiäre Veranlagung für Depressionen glaubt Maha Patra aber nicht: „Es war nur die innere Einstellung, die bei uns allen verkehrt war.“ Zumindest die ihre sei nun gründlich korrigiert worden. Der „Gruppenleiter“ ihrer Sannyasin-Wohngemeinschaft habe sie auf ihre Widerstände aufmerksam gemacht, die sie um sich he-rum aufbaute. Sie habe gelernt, anderen nicht mehr aggressiv, sondern humorvoll zu begegnen. „Sich selbst über alles zu lieben, ohne dabei aber zum Egoisten zu werden“, nennt sie das. Und sie glaubt, dass sich die neue Lebensweise ganz praktisch für sie auszahlt: „Ist dir schon mal aufgefallen, wie oft Fachleute in den Medien Naturkatastrophen – zum Beispiel Überschwemmungen – für Bremen voraussagen und wie sie dann doch immer an unserer Stadt vorbeiziehen? Osho hat gesagt: Wenn du einen Schritt auf die Existenz zugehst, kommt sie dir in tausend Schritten entgegen.“
Bei Detailfragen nach ihrem WG-Alltag unter lauter Sannyasins ist sie allerdings schnell wieder auf der Hut. „Versuch bitte nicht“, mahnt sie nachdrücklich, „irgendwelche Gesetze aufzustellen über typische Sannyasins. Sannyasinsein ist das Regelloseste, was es überhaupt gibt!“ Dabei wirkt das, was sie von ihrer Gruppe erzählt, nicht besonders exotisch: Man kocht gemeinsam, sitzt zusammen, bekommt Besuch von Angehörigen oder Freunden, geht in die Sauna oder macht Ausflüge am Wochenende ... Klingt fast nach harmonischem Familienalltag. „Nein“, sagt sie fast wütend. „Eine Familie sind wir nicht. Familie hat eine negative Färbung. Und wenn jemand heiraten und ein Kind bekommen würde, dann müsste er eben ausziehen. Das passt nicht zusammen. Sannyasinsein – das ist etwas ganz anderes.“
Aber was genau? „Auf jeden Fall keine Sekte und keine Glaubensgemeinschaft. Für mich ist Sannyas die Liebe zum Leben und zum Meister. Und ein Aufwachen aus dem Tiefschlaf, in dem man sich normalerweise befindet.“ Sie überlegt, und dann fällt ihr noch etwas ein: „Osho hat es mal so formuliert: Sei dir selbst ein Witz, der dich erheitert. Das“, sagt sie, „trifft es ziemlich genau.“ Mona Clerico
*Name von der Redaktion geändert, weil sie anonym bleiben wollte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen