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Auf der dunklen Seite des Mondes

Lob des Schattens: Joe Fabians „Lighthouse (alphasystem 04)“ am Halleschen Ufer

Die Schatten sind ihnen voraus. Schneller und in größerer Zahl als die vier Tänzerinnen auf der Bühne gleiten sie über die Leinwände der TanzInstallation „Lighthouse“ von Jo Fabian, die am Samstag im Theater am Halleschen Ufer Premiere hatte. Noch schneller ist die Tonspur, in der die Absätze der Tänzerinnen schon im Stakkato knallen, während sie im Sand des Bühnenbodens noch vorsichtig mit den Schuhspitzen scharren.

In der romantischen Erzählung von Peter Schlemihl ist der schwarze Schatten Metapher der Seele, die nur ein einziges Mal im Pakt mit dem Teufel getauscht werden kann. Im Konkurrenzkampf von Theater und Kino dagegen wird die Einmaligkeit des Körpers als Garant für seine Authentizität eingesetzt. Die Teufel, die den Körper seiner Einmaligkeit berauben wollen, heißen Kopie, Reproduktion, Abbild und Klon. Ihre Sphäre ist der Schein.

Vor diesem Hintergrund baut Jo Fabian seine Bilder. Am Ende liest man in seiner Choreografie Geschichten über den vergeblichen Versuch, den eigenen Schatten auf dem Marktplatz zu verkaufen. Er scheint nichts mehr wert, seitdem Abbilder problemlos verfügbar und manipulierbar geworden sind.

Filmspulen drehen sich, der Set-up-Bildschirm eines Computers rauscht vor den Augen vorbei, Maschinenlärm dröhnt in den Ohren. Minutenweise versetzt Fabian den Zuschauer in das Innere der Rotationsapparate, die Zahlen, Texte und Bilder ausspucken. Die Tänzerinnen, die fast zwei Stunden mit einer Folge von kaum mehr als zwanzig Schritten auskommen, wiegen und drehen sich auf der Stelle. Austauschbar gekleidet und maskenhaft geschminkt sind sie dennoch präsent, solange sie an den ritualisierten Bewegungen festhalten. Wer ausschert und am Rand eine Zigarette raucht, verliert alles Lebendige.

Das ist verwirrend. Fabian, alles andere als ein Verfechter des Authentischen, macht die Deutung des Körpers nicht von seinem Status als Original abhängig. Stattdessen wird gerade aus der Wiederholung heraus deutlich, wie Bedeutung aus der allmählichen Abweichung vom Ursprünglichen entsteht. Die Bewegungssequenz, die in verschiedenen Tempi und zu wechselnden Kontexten aus Licht, Musik und Klangkulissen aufgeführt wird, verändert Dynamik und Intensität. Sie geht nie vollständig in der akustischen Collage auf, die Ralf Krause und Christoph Langer aus Loops und Unwettern abgemischt haben.

Schuhe zeichnen in den Sand, eine Linie aus Licht folgt der Bewegung einer Hand, Buchstaben werden neben Tanzfiguren eingeblendet. In „Lighthouse“ treibt Jo Fabian das „alphasystem“ der Analogien zwischen der Organisation von Schrift und dem Aufbau von Tanz weiter, das er vor einem Jahr begonnen hat. Ähnlich wie die Schrift aus dem Alphabet lässt er den Tanz aus einer beschränkten Zeichenmenge hervorgehen.

Bedeutungstragende Symbole sind das nicht, auch wenn Fabian der Erfindung seiner „Tanzsprache“ die Programmbroschüre widmet. Da scheint er mit der Guerilla-Taktik der Tarnung noch immer den Vorwurf des Formalismus zu kontern, der Tanz ohne Handlung als inhaltsleer und abstrakt beschuldigt. Katrin Bettina MüllerTheater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32, 11. – 16. Januar, 21 Uhr

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