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Mutter aller alternativen Zeitschriften

Ihre Auflage ist gigantisch, aber die Einmaligkeit ist dahin: Eine Investorengruppe erwirbt die legendäre New Yorker „Village Voice“

New York (taz) – Medienzar Rupert Murdoch hat sich an ihr die Zähne ausgebissen. Als er die Village Voice, die alternative New Yorker Wochenzeitung, seinem Imperium einverleibte und als erstes den Chefredakteur feuerte, verließen die Redakteure einfach ihre Arbeitsplätze. Murdoch erkannte, dass er lediglich ein paar Schreibmaschinen erworben hatte – und gab auf.

Das war 1977. Diesmal dürfte der Eigentümerwechsel glatter verlaufen. Eine Gruppe von Investoren, darunter eine Vermögensverwaltungsfirma und ein Investmentfonds, setzt den derzeitigen Verlagschef David Schneiderman als neuen Geschäftsführer ein; Chefredakteur Donald Forst soll bleiben. Die gut 150 Mitarbeiter scheinen zufrieden.

Die Village Voice ist in der komfortablen Position, sich ihre Käufer sorgfältig aussuchen zu können. Jährlich macht die Zeitschrift, die wahrscheinlich als Erfinderin der wöchentlichen kompletten Veranstaltungskalender gelten kann, rund fünf Millionen Dollar Gewinn, und zwar allein durch Anzeigen. Seit 1996 wird die Voice in New York kostenlos verteilt. Dadurch verdoppelte sich die Auflage auf 250.000 Stück. Als der bisherige Eigentümer, Hundefuttermagnat Leonard Stern, die Zeitschrift im Oktober zum Verkauf anbot, gingen über ein Dutzend Gebote ein.

Die jetzigen Investoren, die zusammen die neue Firma Village Voice Media bilden, haben knapp 160 Millionen US-Dollar für die Voice sowie sechs weitere Stadtzeitschriften, unter anderem in Los Angeles und Seattle, hingeblättert. Der Vorteil, eine ganze Investorengruppe als neuen Eigentümer zu haben, liegt auf der Hand: Kein einzelner von den Käufern wird allzu viel direkten Einfluss auf die Zeitung haben. Aus der 1955 unter anderem vom Schriftsteller Norman Mailer gegründeten Alternativzeitschrift ist nun also ein Medienkonzern geworden.

Lange war es die Village Voice gewesen, die neue Themen erschloss, an die sich die anderen Medien nicht herantrauten: Rockmusik zum Beispiel, eine regelmäßige Hitliste der „10 übelsten Vermieter“ oder die Schwulen-Rebellion in der Christopher Street. Zwei Pulitzer-Preise hat ihr das eingebracht. Doch wurde die Voice ein Opfer ihres eigenen Erfolgs. Inzwischen ist es schwierig geworden, zwischen all der Werbung noch Texte zu finden. Kritische und innovative Artikel liest man inzwischen auch in anderen Zeitungen, nicht selten von früheren Voice-Redakteuren verfasst. Kurz: Die Voice ist nicht mehr Pflichtlektüre für die Journalisten anderer Medien auf der Suche nach neuen Themen.

„Die Village Voice hat einen journalistischen Krieg geführt – und gewonnen“, sagt Publizistik-Professor Jay Rosen, nicht ohne Bedauern in der Stimme, denn: „Sie hat es zur Mainstream-Publikation gebracht.“ Der Investorengruppe ist das gerade recht. Das Ziel von Village Voice Media ist, laut Geschäftsführer Schneiderman, weiter zu expandieren. Das heißt zum Beispiel, noch mehr Stadtzeitschriften zu kaufen und ins Radiogeschäft einzusteigen (wo zwei der Investoren bereits aktiv sind).

Vor allem aber will sich die Village Voice in Kooperation mit Internet-Firmen einen weiteren Markt für Lokalnachrichten und noch mehr Anzeigen erschließen.

Nicola Liebert

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