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... heute, im Kapitalismus

2000. Die „junge Welt“ lädt zur sozialistischen Sause. Die Gewinner von einst feiern ihr Traum-Bankett. Und die Funktionäre gratulieren

Sie drängeln in der Mensa der Berliner Humboldt-Universität und langen zu am Büffet: Buletten mit Kartoffelsalat, Reibekuchen mit Petersilie, Schrippen mit Wurst, Rotwein aus der Literflasche – wie Brigadiere auf einer Betriebsfeier, die zugreifen, wenn es schon mal was umsonst gibt.

Hier ist nicht der Palast der Republik. Hier ist kein üppiges Büffet aufgetafelt. Aber es ist der 8. Januar 2000, der Tag des Traum-Banketts, 224 Träumer von einst haben sich zur „junge Welt hält Wort“-Veranstaltung eingefunden. Und immerhin: Die FDJ- und die Staatsführung, wenn jetzt auch Ex, sind anwesend: Egon Krenz und Hans Modrow. Sogar Karl-Eduard von Schnitzler ist gekommen, der schwarze Kanalarbeiter. Und Täve Schur, der rote Radler. Mensch, da sage noch einer, Träume werden nicht wahr. Wenigstens dieser hat sich erfüllt.

Andere nicht. Der Sozialismus? Gescheitert! Die DDR? Weg! Einkaufen auf dem Mond? Bah! Erdölsuppe? Hilfe! Die junge Welt? In der Krise! Gedruckte Auflage: gut 16.000! Egon Krenz? Verurteilt! Fast schon im Knast! Viel gibt es für sie nicht mehr zu feiern. Also auskosten die letzte sozialistische Sause. In Westberlin feiert der Gegner schließlich auch. Die Berliner Schickeria tanzt im ICC auf dem Presseball zu Beat-Rhythmen.

Partygeflüster aus der Mensa. „Ich habe die Hoffnung“, sagt ein gutgelaunter Egon Krenz, „dass die sozialistische Idee irgendwie wach bleibt.“ Dann lächelt er sein großes Zähnelachen in die Fotoapparate seines Volkes. Einer will noch wissen: „Egon, musste nu wirklich ins Gefängnis?“

„Ich will ma sagen“, sagt ein strahlender Ex-junge-Welt-Sportreporter Manfred Hönel, „meine Zeit bei der Bild-Zeitung war die schönste Zeit meines Lebens.“ War. Kürzlich ist Hönels Stasi-Mitarbeit aufgeflogen, er wurde entlassen. „Ich bin jetzt freischaffend.“ Für die junge Welt? „Nee, die lese ich nur noch selten.“

Manche nennen Hönel an diesem Abend einen „Verräter“, erst die Kati Witt in den sozialistischen Sporthimmel schreiben, dann die Millionen-Waden der Bundesliga-Fußballer streicheln. „Ich habe doch auch“, sagt er, „dem Täve große Schlagzeilen in der Bild verschafft. Erst dadurch ist er in ganz Deutschland eine Nummer geworden.“ Bravo, Manne Hönel! Den Feind klassisch unterwandert. Pedale Täve strampelt heute für die PDS im Bundestag.

„Träumen“, sagt ein knarziger Karl-Eduard von Schnitzler, „soll man, wenn man die Macht hat.“ Er hat keine mehr. Er ist ein alter Mann, verbittert und sehschwach in puncto Realität. Das zeigt sich, wenn er lostrompetet: „Ich bin heute noch der bestinformierteste Journalist Deutschlands.“ Oder: „Ich habe Guido Knopp vom ZDF als hauptamtlichen Geschichtsfälscher enttarnt.“ Und: „Die Reichshauptstadt soll freigemacht werden von Antifaschisten.“ Was Schnitzler meint, ist das von der Berliner Polizei ausgesprochene Verbot der Liebknecht-Luxemburg-Demo.

Ein Bierfass ist ausgelaufen. Der Mensaboden klebt. Schnitzler hockt am Ausgang und wartet auf den Wagen. Krenz nimmt am Kulturprogramm teil. Die Träumer von einst enteilen in den Realkapitalismus. Schweinekalt ist es.

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