: Wow – der größte Medienkonzern der Welt!
Time Warner fusioniert mit America Online (AOL). Der Fernseh- und Zeitschriftenriese liiert sich mit dem Krösus der Online-Dienste: Erste Großfusion zwischen Internet und etablierter Industrie ■ Von Reiner Metzger
Berlin (taz) – Der weltgrößte Internet-Dienst America Online und der nach Umsatz ebenfalls größte Mediengigant der Welt, Time Warner, wollen fusionieren. Es ist gleichzeitig das erste Mal, dass ein Internet-Konzern mit seinen bekannt stratosphärischen Aktienkursen eine Fusion mit einem ähnlich wertvollen Großunternehmen aus einer traditionellen Branche eingeht. Und es wäre die neue größte Fusion aller Zeiten.
Bisher schon lag Time Warner mit einem Jahresumsatz von knapp 27 Milliarden Dollar weltweit an der Spitze der Medienwelt. Zu Time Warner gehört nicht nur die berühmte Zeitschrift Time samt ihren Ablegern wie Sports, People etc. Es zählt dazu auch die Film- und Musiksparte Warner Bros., Buchverlage sowie Fernsehsender wie CNN, n-tv in Deutschland oder Cartoon Network. Außerdem Kabelnetze mit hoher Übertragungskapazität à la „Road Runner“. 70.000 Angestellte arbeiten weltweit. Der Aktienwert an den Börsen liegt bei 83,3 Milliarden Dollar.
Zu America Online, kurz AOL, gehört auch Compuserve sowie der World-Wide-Web-Pionier Netscape. Die gut 12.000 Mitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von nur 4,8 Milliarden Dollar 1,1 Milliarden Dollar Gewinn. Niemand hat mehr Online-Kunden als die 22,5 Millionen von AOL.
Noch berauschender aber ist der Börsenwert der erst 1985 gegründeten AOL: 163,4 Milliarden Dollar nach gestrigem Anfangskurs. Das ist mehr als bei jedem deutschen Konzern und macht AOL neben Größen wie Microsoft oder General Electric zu einem der teuersten Unternehmen weltweit.
Solche hohen Aktienkurse bei eigentlich kleinem Umsatz werden normalerweise nur in kurzzeitigen Börsen-Spekulationsblasen erreicht. Die Internet-Spekulation dauert nun jedoch schon Jahre an. Viele Internet-Firmen werden an der Börse unheimlich hoch bewertet, weil im weltweiten Netz in der Zukunft hohe Gewinnchancen gesehen werden. All diese Zukunftsprognosen sind schon in den heutigen Aktienkurs eingerechnet. Diese Milliardenwerte lassen sich aber nur realisieren, wenn die Entwicklung wirklich so rosig läuft, wie von den größten Optimisten erwartet. Hiesige Konzernlenker bezeichnen die hoch bewerteten Internet-Aktien deshalb schon mal abschätzig als Monopoly-Geld.
Nun hat die Monopoly-Welt in Form von AOL erstmals Kontakt mit der realen Welt von Fernsehsendern und Zeitungskonzernen aufgenommen. Und damit wurde zum ersten Mal eine „realistische“ Bewertung der Internet-Kurse errechnet. AOL-Aktionäre werden 55 Prozent am künftigen Gemeinschaftskonzern halten, Time Warner-Aktionäre 45 Prozent.
Die eigentlich doppelt so teuren AOL-Internet-Aktien werden also etwa im Verhältnis 1:1 gehandelt. Auf dem Papier verlieren die Aktionäre von AOL bei einer Zustimmung zu dem Deal also Geld – tauschen den höheren Kurs aber gegen die Sicherheit von hohem Umsatz und traditionellem Geschäft. Von den Börsen wurde das gestern als gutes Geschäft für beide Seiten erachtet. Der AOL-Kurs stieg nach der Nachricht von der Fusion um 19, die von Warner um 12 Prozent.
Grund für den Optimismus dürfte die Entstehung des ersten vollintegrierten Internet-Medienkonzerns sein. Waren viele Medienkonzerne in der schnellen neuen Welt des globalen Netzes traditionell schwach auf der Brust, fehlt es den Internet-Diensten an wertvollem Inhalt. AOL Time Warner wird nun der Primus auf beiden Gebieten sein und alle Konkurrenten hinter sich lassen – wenn diese nicht auch ein paar Fusiönchen eingehen.
Die Chefs der neuen AOL Time Warner haben denn auch schon angekündigt, dass den AOL-Internet-Kunden der Inhalt der Time-Warner-Töcher serviert wird und umgekehrt. Chairman – im US-Recht eine Art Aufsichtsratschef mit erweiterten Kompetenzen – wird der bisherige AOL-Chef Steve Case. Vorstandsvorsitzender, das heißt Chief Executive Officer, wird Time-Warner-Boss Gerald Levin. Ted Turner, Gründer von CNN, bleibt Vizechef.
Die Nummer zwei in der Medienwelt ist Disney/ABC (23 Milliarden Dollar Umsatz), gefolgt von der frisch fusionierten Viacom/CBS (18,9), Bertelsmann (14,8) und Murdochs News Corporation mit 13,6 Milliarden.
Bertelsmann dürfte von der Fusion speziell getroffen werden. Der Gütersloher Konzern ist der einzige nicht an der Börse notierte Medienriese, sondern gehört der Bertelsmannstiftung und der Gründerfamilie unter Reinhard Mohn. Ein Aktientausch bei einer Fusion würde den Zugriff der Stiftung und Mohns auf den Konzern schwächen. Bertelsmann kann also nicht an dem Fusionskarussell teilnehmen.
Die Deutschen halten zudem einen 0,7-Prozent-Anteil an AOL und betreiben zusammen AOL Europe und AOL Australia. Dies war als der Hauptweg von Bertelsmann in das Internet gesehen worden. Nun hat AOL einen neuen Medienpartner. Da könnte der Time-Warner-Konkurrent Bertelsmann leicht aus dem Rennen sein.
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