: Bumm bumm Baselitz
Eine Ausstellung in der Galerie der Gegenwart wirft die Frage auf: Ist der deutsche Malerfürst etwa der bessere Dichter? ■ Von Hajo Schiff
Das absolut gesetzte Pathos künstlerischer Ab- und Aufbrüche wird in der „Jahrhundertausstellung“ in Berlin zu Recht mit den totalitären Tendenzen des 20. Jahrhunderts in äußerst enge Beziehung gesetzt. Und dass sich auf diese Weise dort im ersten Raum Beckmann und Kirchner, Kiefer und Rainer neben einem Hitlerporträt wiederfinden, hat denn auch nicht wenige gestört. Am lautesten aber hat der deutsche Malerstar Georg Baselitz protestiert, von dem dort drei Bilder und eine Plastik gezeigt werden. Er erklärte, die ganze Ausstellung sei eine Schurkerei, seien doch seine Bilder immer Protest gegen alle Heilslehren gewesen. Schön, wenn getroffene Hunde noch bellen. Hier hat offensichtlich jemand nicht verstanden, wie strukturähnlich sich Macht und Kunst, Kritisiertes und Kritik oft sind.
Es kann kaum ein Zufall sein, dass der Titel der aktuellen Hamburger Baselitz-Ausstellung ausgerechnet Das große Pathos lautet. Nun könnte dieser Titel der monografischen Retrospektive im dritten Stock der Galerie der Gegenwart auch eher ironisch gemeint sein, um den Begriff Pathos letztlich zu brechen. Aber alle vorhandene künstlerische Demontage von Pathosformeln verblasst doch angesichts des verbalen Pathos, das Baselitz, der sich im niedersächischen Derneburg ein ganzes historisches Schlossanwesen zusammengemalt hat und Grafik des florentinischen Manierismus sammelt, in sein Credo zum Wesen der Künstlerexis-tenz legt: „Der Künstler zerstört leidenschaftlich, was vor ihm da war, um wieder lebendig zu sein.“
Dieses, allerdings 13 Jahre alte, Baselitz-Zitat steht groß und einzig an der Eingangswand der Hamburger Ausstellung. Großes Pathos eben, wenn auch kein affirmatives, sondern eines der heroischen Dekonstruktion in der auch nicht gerade neuen Art der Expressionisten oder Futuristen. Dieses Pathos ist eines der Haltung, nicht eines der Form. Denn die kleinköpfigen, dickschwänzigen Heldenfiguren, deren zentral machtvollem Auftreten im Bild eine nervös zerfallene Binnenform entgegensteht, sind ganz sicher als Denunziation pathetischer Formeln zu werten: Diesen jugendlichen Helden ist ihre Identitätskrise mehr als deutlich anzusehen.
Doch so interessant solche Überlegungen wären: Wieder einmal, wie so oft in diesem Haus, wurde eine Ausstellung nicht thematisch angegangen, sondern komplett aus privatem Sammlerbesitz einfach chronologisch zusammengestellt. Und so führt denn der Rundgang brav die künstlerische Entwicklung des heute 61-jährigen Malers vor. In den pandämonischen Zeichnungen der 60er Jahre verblüffen Haufen von Pilzen, Köpfen und Gnomen durch ihre Ähnlichkeit, und es wird erkennbar, wie die Dekon-struktion der Körper als formales Ergebnis aus dem Freiraum der kreiselnden Linien der übermotorischen Zeichnung heraus erarbeitet wird. In einem kreuzförmig aufgebauten Bild von 1964 taucht bereits ein knappes Viertel des Bildes als überkreuzgespiegelter Bildteil überkopf auf. Erst nach der Hälfte der Räume tritt dann, zuerst noch scheinplausibel anhand von freifliegenden Adlerbildern, das ein, was alle erwarten: die Überkopfung.
Die Bildinhalte überkopf darzustellen, ist jener zum Markenzeichen gewordene Trick, der abbildhaften Figürlichkeit zu entkommen, ohne sie aufzugeben. Denn die Bilder sind schließlich nicht einfach umgekehrt gehängt, sie sind umgekehrt gemalt. Dennoch ähnelt dies sehr der Methode der Bildvertauschung, wie sie in Kunstgeschichtsseminaren anhand von seitenverkehrten und falschherum projizierten Dias vorgeführt wird, um Bildstrukturen, Handlungslinien und Farbverläufe zu bewerten. Der Besucher möge also seine Augen verdrehen oder versuchen, Handstand zu machen, um zu überprüfen, was er da sieht: Er wird erkennen, dass die Bilder, erneut gewendet, gar nicht funktionierten.
Doch all diese Rezeptionstheorie hätte genau so gut vor mehr als 20 Jahren angebracht werden können. Jetzt ist Herr Baselitz längst musealisiert als Großartist der Gegenwart des letzten Jahrhunderts. Das einzige, was neben den ganz frühen Zeichnungen noch interessieren kann, ist die selten gesehenen Mappe „Malelade“, von der hier zwölf Radierungen ausgestellt sind. Es sind wie immer überkopferte Bilderfelder mit poetisch fragmentiertem, erstaunlicherweise lesbarem Text. Technisch gesehen ist auch dies ein Andersherum, denn Wörter müssen ja, um im Druck lesbar zu sein, spiegelverkehrt auf die Platte radiert werden.
Inhaltlich zeigt sich bei diesen Arbeiten aus den 90er Jahren eine pointiert zugespitzte und angenehm gebrochene Romantik. So ist bei einem Blatt auf grünem Grund einzig zu lesen: „und Dorf Wald Feld/ noch Korn und Salz/ grün braun/ wie Heimat einmal/ bumm bumm“. So ein Malergedicht über grüne Auen und grüngewandete Jäger, überweht von Glockengeläut, und zugleich über braune Ideologien, braune und grüne Uniformen und die dumpfen Töne aus Gewehr und Kanone vermag mehr Trauer über den verlorenen Heimatbezug auszudrücken als mancher Essay und viele, viele Bilder.
„Das große Pathos“, Galerie der Gegenwart, bis 27. Februar; der Katalog kostet 32 Mark
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