Genauigkeitsfanatiker

„Form bildet und erzieht“: Mit einer kleinen Reihe stellt das Metropolis den Formalisten Robert Bresson vor  ■ Von Birgit Glombitza

Wird mit einer Zeitung zugedeckt, fällt in eine Jackettasche, wird herausgefingert, um im Mantel eines anderen zu verschwinden, der es absichtlich verliert, damit der nächste es wieder ein Stück weiterträgt. Es reist in Ärmel und Hosenbeine, beult sich bis zum Saum, fällt aus der Naht dem nächsten zu. Bis es schließlich unter Matratzen landet oder als Einsatz auf dem Kartentisch. Was aussieht wie die majestätische Choreografie routinierter Taschendiebe wird in Robert Bressons Pickpocket zum Kreisverkehr einer Fixierung: Geld.

Was der Taschendieb Michel mit einer Mischung aus Furcht und Vorfreude erbeutet, verliert im Moment der Inbesitznahme für ihn jeden Sinn. Es zu ertricksen, bedeutet dem manischen Dieb alles. Es zu haben, nichts. Nie benutzt er es als das, was es ist: als Gegenwert. Als Substitut im Tauschhandel der Waren und Wünsche.

„Die Form bildet und erzieht weit mehr als der Inhalt“, sagte Bresson einmal in einem Interview. Der Regisseur, der am 21. Dezember letzten Jahres im Alter von 98 Jahren starb, blieb zeitlebens ein Genauigkeitsfanatiker, dem die Formel „Ordnung gleich Kreation und Unordnung gleich Leben“ zum künstlerischen Credo geworden ist. In den 14 Filmen, die er zwischen 1943 und 1983 gedreht hat, will er vor allem von „der Unvermittelbarkeit des Menschen“ erzählen. Und das so schlicht und wahr, wie es nur eben geht. Jedes Zuviel sortiert er aus in den Topf, den er „photographiertes Theater“ nennt und als Ansammlung schnöden Dekorwillens ablehnt.

Bressons Werk beschreibt eine Fahndung nach der äußersten Ökonomie filmischer Mittel. Statt Schauspieler suchte er lieber Laien. Bei der Auswahl seiner Modelle, kam es ihm vor allem auf die moralische Ähnlichkeit zur Filmfigur an. Er arbeitete weitgehend mit Originalton, erzählte zunehmend elliptischer, speckt Handlung und Gespräche auf das Notwendigste ab und hinterlässt so Bilder, mit eigentümlicher Dringlichkeit. „Bei jedem Strich riskiere ich mein Leben“, zitiert Bresson gelegentlich Paul Cézanne und wurde selbst zum ernsten Fall, dem sein Arzt das Malen verbot, weil es ihn zu sehr aufzehre. „Jetzt male ich mit den Augen.“

In Pickpocket konzentriert sich Bresson ganz auf das Geheimnis des Rituals selbst, die Virtuosität der Form, die kalte Perfektion. Sie stülpt sich über die Wirklichkeit, wie die Hände des Trickbetrügers über sein Diebesgut. Die tänzerische Fingerfertigkeit in Pickpocket fasst Bresson in strenge, hermetische Bildausschnitte. Kaum merkliche Kamerafahrten verfolgen das Spiel der Blicke und Finger. Ein dramaturgischer Kreisel rund um die Mathematik der Manien und Abhängigkeit, der vieles aus seinem letzten Film L'Argent bereits vorwegnimmt. Hier folgt die Geschichte einem Falschgeldschein, der eine unselige Kettenreaktion in Gang setzt, die schließlich bei der Ermordung einer kompletten Familie endet.

Ein gesellschaftlicher Formfehler ist es in Les dames du Bois de Bologne (1945), der den Abstieg in die Verachtung mit sich bringt. Dies ist der letzte Film, in dem Bresson sich noch theatraler Mittel in Ausstattung, Ton und Licht bedient – wenn auch nur, um sie an der Automatik der Geschichte wieder zu brechen. Dazu triezte er die Darsteller so lange, bis sie komplett entnervt und erschöpft ihre Texte nur noch ganz mechanisch sprechen. Bleibt in dem Rachereigen die Liebe auch solider als die Intrige. Für Schuld gibt es in Bressons Kosmos kein Pflaster. Sie hockt allen Schicksalen und fehlgeschlagenen Revolten seiner Protagonis-ten wie ein Fluch im Nacken.

Bresson, der aus seinem Katholizismus nie einen Hehl gemacht hatte, glaubte nicht nur an Gott und die christliche Vererbungslehre der Sünde, sondern seit seiner 18-monatigen Kriegsgefangenschaft 1940 in einem deutschen Lager, auch an einen Teufel. An die totale Ohnmacht, das Ende aller Optionen. Seither wurde die Welt seiner Filme enger, waren Mauerwerk und Umzäunung ständig im Anschnitt zu sehen. Befreiende Totalen gibt es gar nicht. Das freie Spiel der Möglichkeiten wurde zum Solisten-Schach. Dabei ging es immer um alles. „Ein kultureller Reaktionär“ schimpfte Paul Schrader einmal über Bresson, und fügt dann „aber ein künstlerischer Revolutionär“ hinzu.

L'Argent: Fr, 14., 19 Uhr, + Mo, 17. Januar Les Dames du Bois de Boulogne: Mo, 24. Januar, 21.15 Uhr Pickpocket: So, 30., 17 Uhr + Mo, 31. Januar, 21.15 Uhr