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Einzelwort in Schwierigkeiten

Eine szenische Fassung von Albert Ostermaiers Gedichtband „Heartcore“ verwandelt in München Sprache in Rausch(en) statt Bilder und liegt so goldrichtig ■ Von Sabine Leucht

Es ist ein Abend der Augen-Blicke. Jener, die immer nur kurz verweilen, auch wenn sie manchmal ewig scheinen. Und jener anderen, für die es Augen braucht wie die von Anna Thalbach und Thomas Huber: Tiefseeaugen. Augenfische. Klar und hell und sanft. Viel mehr war da nicht als dies: Zwei Schauspieler, deren Augen Liebe senden, und vier Musiker, die den Teppich weben, auf dessen Sound sich dann die Sprache tummelt.

Wer dies für zu wenig hält, den kann man zwar verstehen, doch er missversteht den Anlass. Besagte Sprache nämlich kommt von Albert Ostermaier, dessen Gedichtband „Heartcore“ im Münchner Marstall seine szenische Uraufführung erlebte. Und Ostermaiers für einen Lyriker erstaunliche Popularität verdankt sich sicher auch der Tatsache, dass er ein Soundschreiber ist. Zum Arbeiten, hat er kürzlich der Zeitschrift Allegra anvertraut, muss er Musik hören. Die trägt ihn übers Papier. Und darum ist, was er schreibt, ein Strom, der beide Problemzonen der Lyrik – das zu konkrete Zeigen auf die Dinge und ihre Auflösung in Lautschwelgerei – meist recht geschickt umschwappt. Das Geheimnis Albert Ostermaiers überlappt sich mit dem Geheimnis der deutschen Sprechgesangszene: Als Sound aufgefasst, werden selbst deutschsprachige Reime mehrheitsfähig.

Wohl einem, dem mit Bert Wrede ein Musiker zur Seite steht, der die Grenzen zwischen Klassik, Jazz, Pop und Techno ganz nach Belieben ziehen und wieder auflösen kann. Wrede machte bisher bei jedem Ostermaier-Theaterprojekt den Sound zum Sound (und hat auch „Heartcore“ als Hörstück zum Buch vertont), und auch diesmal kann man lediglich bemängeln, dass das Einzelwort dabei in Schwierigkeiten kommt. Sicher liegt das auch an Regisseur Christoph Biermeier, der mit viel Gespür für Rhythmus und Tempo bereits Ostermaiers „Radio Noir“ in Mannheim uraufgeführt hat. Doch während die damalige Arbeit bloß flott und ein wenig selbstgefällig den Spaß am Drive ausstellte, ist die Verwandlung von Sprache in Rausch(en) statt in Bilder diesmal goldrichtig.

Denn „Heartcore“, das mit zwei Wochen Probe und nur vier Vorstellungen ganz klar Versuchscharakter hat, will allenfalls am Rande die Bühne bedienen. Es leiht sich vom Theater bloß die Darsteller und eine Art Bühnensteg mit rosa Stühlen und kalten Tischen, die im Café stehen könnten, in einer Wartehalle und überall dort, wo Leute auf der Durchreise sind (Bühne: Colin Walker). Der Rest ist streichelnde und krachende Livemusik von Wrede (Gitarre), Patric Leuschner (Drums), Sebastian Hilken (Cello) und Georg Zeitblom (DJ).

Und zwischen besagten Augen-Blicken tummelt sich ein Schlüsselsatz – wie ein Echo, das mit der Zeit schneller statt kürzer wird: „was / ich vergessen habe dir zu / sagen / was ich meinte als ich / schwieg“.

In „Heartcore“ spielt der 32-jährige Dichter mit Variationen jenes Horrors, der geradewegs aus dem Mark des Herzens kommt; verdichtet die Grausamkeit der Liebe wie das Liebevolle an der Grausamkeit: „deine küsse sind nadelstiche die / auf meinen Lippen fantasieren / mir die zunge tätowieren“. Das perlt glasklar von Anna Thalbachs Lippen. Und klingt wie ein Flehen. Mit falscher Lockenpracht, fliederfarbenem Schlauchkleid und viel zu hohen Absätzen ist sie ein kinderzartes Fantasiewesen zwischen Gipsy und Filmsternchen. Und Thomas Huber ist fast James Dean. Doch halt! Keiner „ist“ hier irgendwer. Und es sind auch nicht die Aktionen, die den stundenkurzen Abend tragen: Vor allem die körperlich ausgespielte Nähe wirkt unausgegoren und halb privat. Via Sprache rücken sich die Schauspieler enger auf die Pelle: teilen sich die Verse, reichen sie sich weiter und missverstehen sich dabei. Etwa weil Sie ans „echte“ Leben denkt, während Er mit dem Kopf im Internet hängt. Sie: „es ist schluss“ – Er: „klar / dass ich den löschen muss“.

Ostermaiers Lyrik will nicht unbedingt entschlüsselt werden. Sie berührt einen Nerv. Und dem geht es gut, wenn sich das Spiel dem sprachlichen Rhythmus ergibt. Dann erscheint Udo Samel. Als „special guest“ des ersten Abends hat er dem Autor einen seltsamen Freundschaftsdienst erwiesen: Gleich im Anschluss an Thomas Huber spürt Samel sich noch einmal in ein Gedicht hinein, wie er es an der Schaubühne gelernt hat. Und wirkt damit, als käme er aus einer anderen Zeit – wo es noch nicht genügte, Gefühle nur zur Probe anzuziehen und dabei Blicke zu tauschen, von denen man träumen kann.

Sicher liegt in diesem Abend nicht die Zukunft des Theaters. Doch die von Liebesgedichten, die auch moderne Großstadtgeschichten sind, könnte irgendwo dort zu finden sein.„Heartcore“, von Albert Ostermaier. Regie: Christoph Biermeier. Musik: Bert Wrede. Mit Anna Thalbach, Thomas Huber und „special guests“. Marstall München. Nächste Aufführungen: 14., 15. 1.

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