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Spiegelbilder eines Onanisten ...

■ ... oder Liebesgrüße eines Besessenen: Gregor Schneider hat in der Bremerhavener Kunsthalle sein Geburtshaus neu erbaut

Da hat einer den Tempel eingeweiht, den Tempel der minimalistischen Kunst in Bremerhaven. Das schuhkartonförmige „Kabinett für aktuelle Kunst“ mit dem großen Ladenfenster – im Erdgeschoss unterhalb der Kunsthalle – ist nicht wiederzuerkennen. Kein Hinweisschild an der geschlossenen Eingangstür, hinter der Scheibe verbaut eine neu gezogene Wand den Blick in den Raum, der übriggebliebene Platz zwischen Wand und Fenster wird durch eine halbhohe Mauer zweigeteilt. Das Ganze, roh und unfertig, sieht wie eine Schweinerei aus, ein Schweinestall mit blauem, gefülltem Plastiksack in der Ecke.

Am Eröffnungstag der Ausstellung saß der Künstler in dem Sack, sechs Stunden lang, der Eloge auf seine Ausstellung in Bremerhavens Kunsthalle konnte er nicht beiwohnen. Dieser Tempelstürmer heißt Gregor Schneider, er ist 30 Jahre alt und hatte schon vor seinem Kunststudium in Düsseldorf, Münster und Hamburg als 16-Jähriger seine erste Galerieausstellung. Wenige Jahre später findet er sein Thema, das ihn bis heute begleitet. In dem kleinen niederrheinischen Ort Rheydt macht er sein Wohn- und Geburtshaus zum Zentrum seiner Kunst. Er reißt Wände heraus, setzt sie neu, verkleidet sie, erfindet neue Räume, vermauert und öffnet sie wieder. „Haus Ur“ nennt er sein Gebilde, das er ununterbrochen verwandelt und dessen Verwandlungen er fotografisch und filmisch dokumentiert. Die Spuren dieser Arbeit – 150 kleinformatige Fotos – und ein Videofilm sind zurzeit in Bremerhavens Kunsthalle zu sehen. Bilder und Film machen das Vertraute, das Normale unheimlich. Ein schmaler, weißer Raum, ein gedeckter Tisch, zwei Stühle, ein Fenster, ein Neonlicht an der Decke – das Ambiente wirkt steril und so, als könne etwas nicht stimmen. Gefährlich und eingefroren. „Liebeslaube“ nennt er einen anderen Raum, der mit Badewanne, Matratze und Schemel aussieht wie aus einem Alptraum geschnitten.

„Puff“ heißt ein Bild, das einen schmutzigen Kellergang zeigt, der vor einem Holzverschlag endet. Das Video – im Nebenraum der Kunsthalle – zeigt, wie jemand mit der Kamera in der Hand durch ein Haus kriecht, die engsten Zwischenräume zwischen Wänden und Außenmauern erkundet. Man hört seinen Atem, man spürt die Anstrengung, eine nicht sichtbare Gefahr liegt in den Bildern, der nicht sichtbare Künstler bahnt sich einen Weg. Aber wohin? Psychologische Deutungen liegen nahe. Da kriecht jemand in den Mutterleib zurück. Oder will er sich daraus befreien und schafft es nicht? Schneiders unheimliche Orte sprechen von totaler Isolation (so auch ein wiederkehrender Bildtitel). Sie sprechen auch von isolierter Sexualität. Und ein mit Bleiplatten isolierter Kellerraum darf als Anspielung auf die Orgonkisten des Sexualforschers Wilhelm Reich gesehen werden.

Die Isolation ist das Thema, mit dem Gregor Schneider inzwischen in die Welt gezogen ist, in die Kunstpaläste von Mailand, London und New York, in denen er einzelne Räume seines Ur-Hauses maßstabgetreu nachbaut. Aber er bleibt auch den kleinen, unscheinbaren Orten wie Bremerhaven verbunden, die ihn an seinen Geburtsort Rheydt erinnern, von dem er sich trotz aller Reisen nicht löst. Ein Jahr lang hat er in Bremerhaven als Stipendiat gearbeitet. Mit der aktuellen Ausstellung verabschiedet er sich von der Stadt: „Plastikbeutel mit Wichsecke“ nennt er seine Entweihung des minimalistischen Kabinett-Raumes.

Liebesgrüße eines Besessenen, Spiegelbilder eines Onanisten, der die Kunst – in ironisch-geheimnisvollen Bildern – dorthin zurückführt, wo sie beginnt: beim unbehausten eigenen Ich. Hans Happel

bis zum 23. Januar in der Kunsthalle Bremerhaven, Karlsburg 4. Öffnungszeiten: Di-Fr 14-18 Uhr, Sa/So 11-13 Uhr

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