piwik no script img

Türken wollen Deutsche werden

Umfrage: Fast zwei Drittel der Berliner Türken streben deutsche Staatsbürgerschaft an

Der viel beschworene Rückzug der in Berlin lebenden Türken aus der deutschen Gesellschaft in ein „Ghetto“ bestätigt sich nach einer neuen Umfrage nicht. Fast 62 Prozent der rund 132.000 in Berlin lebenden Türken haben bereits oder wollen noch einen Einbürgerungsantrag stellen. Bei den unter 30-Jährigen sind es sogar mehr als 75 Prozent. 1993 waren dazu nur 45 Prozent bereit. Das ergab eine Befragung von 560 türkischen Berlinern, deren Ergebnisse gestern von der Ausländerbeauftragten Barbara John vorgestellt wurden.

„Es ist unverkennbar, dass die türkische Wohnbevölkerung sich mehr und mehr auf die hiesige Gesellschaft hin orientiert“, erklärte John. Das betreffe Mediennutzung, Heiratsverhalten, Häufigkeit der Reisen in die Türkei sowie die Bereitschaft, deutscher Staatsbürger zu werden.

Das Nürnberger Meinungsforschungsinstitut Intrend hatte die Telefonumfrage im Auftrag der Ausländerbeauftragten im November und Dezember bei Berliner Türken über 18 Jahren durchgeführt. Die Anzahl der Befragungen ist allerdings der Schönheitsfehler der ansonsten ausführlichen Studie: Wie Institutschef Harald Weinberg selbst einräumte, sei die Zahl von 560 Befragungen am unteren Rand der statistischen Repräsentativität. Trends könnten aber auf jeden Fall abgelesen werden.

Die dritte Generation der in Berlin lebenden Türken bemüht sich danach bei der Suche nach ihrer Identität, ihre türkische Kultur mit einem Leben in Deutschland zu verbinden. Die Bindung an die Religion, den Islam, ist bei den Türken in Berlin insgesamt und auch bei der jungen Generation gewachsen. 37 Prozent der Befragten, rund 3 Prozent mehr als 1993, besuchen heute regelmäßig eine Moschee. Das ging bei jungen Türken aber nicht mit dem Anstieg religiös fundamentalistischer Tendenzen einher: Nur noch 5 Prozent der Eltern unter 30 Jahren schickten ihre Kinder in eine Koranschule. 1993 waren es 10 Prozent.

Die junge Generation sucht nach Auffassung von John nach einem Weg, die „ihre Identität in der Weiterführung der kulturellen Tradition finden will“. Die Politikerin warnte davor, von den Türken mehr zu erwarten als die erfolgreiche Eingliederung in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt. John: „Wer von den Türken die demonstrative Abkehr von ihrem kulturell begründeten Lebensstilen erwartet, verlangt zu viel. Abgrenzung und Abwehrreaktionen wären dann nicht mehr auszuschließen.“

Gleichzeitig sprechen sich 87 Prozent der Befragten aller Altersgruppen für eine verpflichtende Teilnahme an deutschen Sprachkursen aus, die derzeit in Berlin als Pflichtangebote für nachziehende Ehepartner diskutiert werden. 64 Prozent halten mehr Deutschunterricht insgesamt für wichtig. Denn die Eingliederung in den Arbeitsmarkt hat sich seit 1993 erheblich verschlechtert. Damals hatten 34 Prozent der Befragten einen Arbeitsplatz, 1999 nur noch 23 Prozent. Annette Rollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen