Schmalz wird Schmelz

Comeback des Croonertums: Die drei alten Herren Bryan Ferry, Kevin Rowland und George Michael retten den guten Popsong – oder wenigstens sich selbst. Und alles ausschließlich mit geliehenem Material ■ Von Thomas Winkler

Mit dem Alter kommen Kurzatmigkeit, Bäuchlein, Alzheimerwitze. Aber auch der Hang zu klassischen Formaten. Und die Geigen. Das Schwelgen in Streichern muss es sein und der dreiminütige Popsong, wenn man die 35 hinter sich gelassen hat. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain – alte Formeln ordnen das Leben neu. Die Neuinterpretation von Songmaterial aus den abgesicherten Archiven schafft Bezugspunkte in unsicheren Zeiten.

Alter vor Schönheit: Bryan Ferry (54), Kevin Rowland (46) und George Michael (36) haben eines gemeinsam. Alle drei haben gerade Platten herausgebracht, auf denen ausschließlich Coverversionen zu finden sind. Den Zeitpunkt, an dem diese Platten erscheinen, kann man programmatisch verstehen. Ferrys Tat heißt „As Time Goes By“, nicht nur weil der Song aus „Casablanca“ so heißt. Michael hat die Beschäftigung mit seinen Wurzeln leicht aufschneiderisch „Songs From The Last Century“ genannt. In Interviews ließ er verlauten: „Das 20. Jahrhundert bestand nicht nur aus Rock 'n' Roll.“ Beide sind alt genug, in Dekaden zu denken.

Nur Rowland, der lange verschwundene Sänger von Dexy’s Midnight Runners, hat für sein Comeback „My Beauty“ allein Songs über sich selbst gesungen – auch wenn sie von anderen Leuten geschrieben wurden. Übrigens läuft er neuerdings in Frauenkleidern durch London.

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George Michael ist ehrlich. Offen gibt er zu, dass er Covers aufnahm, weil ihm nach den zwei turbulenten Jahren und einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit seiner Plattenfirma nichts Eigenes einfallen wollte. Die Beschäftigung mit Vergangenem als Medizin gegen den Writer’s-Block. Aber: „Ich bin immer noch jung genug, um eine verdammte Dance-Platte aufzunehmen.“

Auch Bryan Ferry hat fünf lange Jahren vor „As Time Goes By“ nichts mehr herausgebracht. Schon 1993 hatte er mit „Taxi“ eine ganze Platte mit Coverversionen eingespielt, um eine siebenjährige Schreibblockade zu überbrücken. 2000 soll nun endlich neues Material erscheinen.

Kevin Rowland dagegen schreibt in den Linernotes zu „My Beauty“ wie ein Dehydrierter, der doch noch glücklich in der Oase angekommen ist: „Ich realisierte, dass ich diese Songs aufnehmen musste, bevor ich irgendetwas anderes tun konnte.“ Betonung auf „müssen“. Die Songs hätten sein Leben gerettet, erzählt er allerorten, nach elf Jahren Kokainsucht, Depressionen, Pleite, Entziehungskuren.

Der Fußballstadion-Evergreen „You'll Never Walk Alone“ soll Menschen retten können? Programmatisch am Beginn von „My Beauty“ steht gar „The Greatest Love of All“, jener Song, der ursprünglich von George Benson aufgenommen, aber erst von Whitney Houston zum weltweiten Goldesel gesäuselt wurde. In Rowlands Interpretation werden die Zeilen „Learning to love yourself is the greatest love of all“ nicht nur gesungen, sondern auch mit Bedeutung gefüllt, wird der Schmalz doch noch zum Schmelz. „Ich musste diese Zeilen bewusst hören“, sagte er dem New Musical Express, „ich lerne immer noch.“ Lernen, sich selbst zu lieben.

Schon als er mit Dexy’s Midnight Runners Anfang der 80er Hit an Hit reihte, verzweifelte Rowland an seinen eigenen Erwartungen. Während die Kritik ihn verehrt und „Come On Eileen“ weltweit zum Nummer-eins-Hit wird, ist er verängstigt. „Ich habe mich immer als Versager gefühlt. Ich war überrascht, wie weit ich gekommen war, ohne dass mich jemand durchschaute.“ Als er 1978 Dexy’s Midnight Runners gründete, benannte er sie zwar nach dem Amphetamin Dexedrin, mit dem sich die Northern-Soul-Fans aufputschten, um ihre wochenendlangen Allnighters durchtanzen zu können, verfügte allerdings innerhalb der Band absolute Konzentration auf die Musik: keine Drogen, kein Alkohol. Das tyrannische und cholerische Regime Rowlands führte zu ständigen Umbesetzungen, Auseinandersetzungen mit Plattenfirmen und Prügeleien mit Journalisten. „Ich nehme das, was ich tue, tödlich ernst“, sagte Rowland damals. Niemand durfte zwischen ihn und seine Vision geraten, nicht einmal er selbst.

Als 1988 seine letzte Soloplatte „The Wanderer“ floppte, begann er selbst mit dem Kokain. In mancher Nacht sollen es fünf Gramm gewesen sein. Er verkokste sein gesamtes Vermögen, landete in Abbruchhäusern, Sekten, Selbsthilfegruppen und acht Monate in einer Drogenklinik. Elf Jahre war er verschwunden.

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Nur zwei Jahre brauchte George Michael, um erwachsen zu werden. Ein misslungener Blow-Job mit einem Zivilpolizisten führte zum Coming Out, einen exemplarischen Prozess gegen die Geschäftspraktiken von Plattenfirmen verlor er, aber immerhin hat er sich inzwischen einen halbwegs vernünftigen Bart zugelegt. „Songs From The Last Century“ soll beweisen, dass aus der Popdiva mit Teenagerstarvergangenheit endgültig ein Mr. George Michael geworden ist. Die Platte ist eine Reverenz an die großen Stimmen von Billie Holiday, Frank Sinatra, Nat King Cole, Bing Crosby, Nina Simone oder David Bowie.

Michael verortet sich selbst glücklich in ihrer Mitte. Die Stimme dazu hatte er schon immer. Die zwar üppigen, aber eben altertümlichen Arrangements hat er sich vom ehrwürdigen Phil Ramone mischen lassen, der für Sinatras klassischen Sound verantwortlich ist. Auf dieser historisch verbürgten Blaupause kann er nicht nur alles ausprobieren, sondern auch einen eigenen Charakter finden, einen Ton, eine ganz eigene Farbe, die hinter Michaels Popsongs, deren Zeitgeistschick und der Aufregung, die sie nicht selten auslösten, meist versteckt geblieben war.

Sowohl Rowland als auch Michael haben sich in ihren eigenen früheren, inzwischen ja auch schon klassischen Inkarnationen durchaus einmal der Vokalknödelei hingegeben. Nun versuchen sie, so reduziert und formal streng wie möglich zu singen. Gealterte Crooner, die sie sind, haben sie die kunsthandwerklichen Schnörkel ersatzlos gestrichen und sich auf die Suche nach der Essenz der Songs begeben.

Ferrys Interpretationen dagegen leben seit Roxy-Music-Zeiten von einer pomadigen, leicht ironischen, sehr englischen Distanz, die jederzeit in seiner Stimme mitschwingt. Überhaupt hat Ferry bestimmt das musikhistorisch durchdachteste und stilsicherste Album unserer drei Helden produziert. Alle Songs auf „As Time Goes By“ stammen aus den 30er-Jahren, darunter gleich drei Mal Cole Porter, Weills „September Song“ und der Marlene-Dietrich-Standard „Falling in Love Again“. Souverän, aber auch professoral lässt er die alten Zeiten wieder aufleben. Man wohnt einer Vorlesung zum Thema zeitlos guter Geschmack bei. Aber: In keinem Moment auf „As Time Goes By“ hört man, dass diese Platte unbedingt gemacht werden musste.

Im Gegensatz dazu lässt es einen frösteln, wenn Rowland in einem geigengetränkten „Reflections On My Life“ das bisschen Lebenswillen, das ihm geblieben ist, in vier kurzen erschütternd traurigen Zeilen auf den Punkt bringt: „The world is a sad place, a mad place / An awfully hard place to live / Oh but I'm afraid to die / That's why“. Dabei ist seine Stimme warm und verschwenderisch, aber halt auch voller Schmerz.

„Ich habe mich in diese Songs versenkt“, sagt Rowland, „ich habe das Gefühl, jede Zeile selbst geschrieben zu haben.“ Tatsächlich hat er auch einige Zeilen selbst geschrieben. „Labelled With Love“ hat er aktualisiert: Aus Alkohol wird hier sein Kokain. „Thunder Road“ allerdings musste in letzter Sekunde vom Album genommen werden, weil das Management von Bruce Springsteen Rowlands Textänderungen nicht absegnete.

In jeder Sekunde jedes Songs hört man, was ihm die Lieder bedeuten. Sein manischer Perfektionsdrang ist immer noch der alte: Produzent Jim Paterson ging entnervt inmitten der Aufnahmen. Ein halbes Jahr dauerte es, bis der richtige Arrangeur für die Streicher gefunden war. Später wurde er gefeuert und noch einmal später wieder zurückgeholt.

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Während Ferry die Standards und ihre teilweise schwerwiegende Geschichte souverän geschäftsmäßig im Griff hat, scheint George Michael, der alte Poser, in einigen Momenten von der Bedeutung seines Materials überwältigt. Ironischerweise badet er dabei in exakt denselben Bläsern, mit denen Dexy’s Midnight Runners dereinst berühmt wurden. Kraftvolle, röhrende Soulbläser. Rowland dagegen stützt sich fast ausschließlich auf Streicher.

Obwohl – oder wahrscheinlich gerade weil – Rowland ausdrücklich klarstellte, dass bei ihm das Tragen von Frauenkleidern allein ästhetische Gründe hat und keinerlei wie auch immer geartetes Statement zu Crossdressing, Fummeltrinen oder Transsexualität enthält, hat er eine Welle homophober Reaktionen losgetreten. Beim Reading-Festival, seinem ersten offiziellen Auftritt seit 14 Jahren, bewarf ihn das Publikum mit Flaschen. Bei seiner Plattenfirma Creation weigerten sich Angestellte, für die Platte zu arbeiten. Nicht zuletzt sind Ressentiments dafür verantwortlich, dass „My Beauty“ bisher nicht in Deutschland erschienen ist. Alan McGee, Chef von Creation, erzählt, dass sein für den deutschen Markt Verantwortlicher Platte und Fotos von Rowland direkt in den Mülleimer beförderte.

Das Verdikt: keine Marktchancen mit diesem Outfit. Im Königreich sollen von „My Beauty“ gerüchtehalber bisher weniger als 500 Stück verkauft worden sein. Es wäre einer der größten Flops in der Geschichte des Popbusiness. Alte Helden haben gefälligst heldenmäßig zu sein. Oder doch wenigstens wie früher. Rowland stattdessen mottete Latzhose und Halstuch schon vor langer Zeit ein und stieß bei der Suche nach „Meiner Schönheit“ auf seine feminine Seite. Seine Kleider entwirft er selbst, seine Stimme erweckt er langsam wieder zum Leben. Wenn man sie so hört, fragt man sich, warum man sie all die Jahre nicht vermisst hat.Tour Bryan Ferry: 11. 2. Frankfurt, 12. 2. Dortmund, 14. 2. München, 23. 2. Dresden, 24. 2. Düsseldorf, 25. 2. Braunschweig, 28. 2. Berlin, 29. 2. Hamburg, 1. 3. Hannover, 3. 3. Stuttgart, 4. 3. Baden-Baden