: Im Schatten des „Vaters der Nation“
Das Alte gesund pflegen oder überwinden? Nach dem Putsch beginnt in Elfenbeinküste der Präsidentschaftswahlkampf – als Streit um den Umgang mit dem Vermächtnis des gestürzten Regimes ■ Aus Abidjan Silke Mertins und Heike Haarhoff
Alassane Dramane Ouattara hat ein kleines Hündchen, einen Malteser namens Marvin. Marvins Korb mit der weichen Kuscheldecke steht in Herrchens dezent klimatisierter Empfangshalle, dahinter im Regal wird Marvins Spielzeug aufbewahrt: ein pinkfarbener Quietscheball, ein Kauknochen, ein Plüschtier. Alassane Dramane Ouattara hat seine Bediensteten angewiesen, Marvin stets gut zu behandeln und ihn zu gegebener Zeit auf dem Anwesen mit dem englischen Rasen und den rundgestutzten Zierbäumchen auszuführen. Alassane Dramane Ouattara, 57, ist einer der aussichtsreichsten Anwärter für die Präsidentschaft in der Elfenbeinküste.
Der Präsidentschaftskandidat der „Sammlung der Republikaner“ (RDR) und langjährige Vizedirektor des Internationalen Währungsfonds empfängt Besucher gern in seiner Villa in Abidjan im Salon, den man von der Empfangshalle über eine Treppe wie aus „Vom Winde verweht“ erreicht. An den Wänden Kunstgemälde, auf dem Marmorboden erlesene Teppiche, in den Glasvitrinen metallene Skulpturen: Alassane Dramane Ouattara, der nach dem weihnachtlichen Militärputsch aus Frankreich in die Elfenbeinküste zurückkehrte, bewegt sich hier so ungezwungen, als lebe er inmitten von Ikea-Möbeln.
„Es stimmt, dass die wirtschaftliche Lage desaströs ist“, sagt Ouattara. „Aber es ist mir schon einmal gelungen, das Land binnen neun Monaten aus der Krise zu führen, unter anderem durch Strukturreformen.“ Das war 1990. Ouattara war Premierminister unter dem Präsidenten Felix Houphouët-Boigny, dem Staatsgründer der Elfenbeinküste und seit der Unabhängigkeit 1960 regierender „Vater der Nation“. Ouattaras damaliger Ehrgeiz ist ungebrochen. „Ich bin stolz darauf, dass ich das für Houphouët und unser Land getan habe.“
Doch zu seinem Leidwesen bestimmte 1993 der greise Präsident Ouattaras Rivalen Henri Konan Bédié, damals Parlamentspräsident, zu seinem Nachfolger. Ungerechterweise. Mit schlimmen Folgen. „Bédié hat das Land verraten, hat das Volk verraten, hat das Vermächtnis Houphouëts verraten.“ Denn Ouattara wäre der wahre Erbe gewesen, und deswegen, sagt der elegante Herr im Salon, ist es nur gut, dass die ivorischen Militärs unter der Führung von General Robert Gueï den falschen Erben zu Weihnachten 1999 aus dem Land trieben, die Macht übernahmen und seitdem die Einführung einer wahren Demokratie versprechen.
Ohnehin, so sind die meisten Ivoirer überzeugt, hätte es in dem westafrikanischen Land, das über Jahrzehnte als Ruhepol und wirtschaftlicher Stabilisator der Region galt, in absehbarer Zeit geknallt. Bédié selbst hatte die Stimmung aufgeheizt. Mit seiner paranoiden Feindseligkeit gegenüber den Wirtschaftsmigranten vor allem aus dem armen Nachbarstaat Burkina Faso wollte er Ouattara schaden. Weil Ouattaras Eltern dort geboren seien, sprach Bédié ihm die ivoirische Staatsbürgerschaft ab. Er verwehrte ihm damit die Kandidatur zu den ursprünglich für Oktober 2000 geplanten Präsidentschaftswahlen.
Bald war Bédié nicht mehr Herr der Lage. Ab Oktober wurden im fruchtbaren Südwesten des Landes an der Grenze zu Liberia mehrere Dutzend Migranten aus Burkina Faso ermordet und 20.000 Menschen in die Flucht getrieben.
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Jean Safianou kam nur dank eines glücklichen Zufalls mit dem Leben davon. An seinen Schmucknarben im Gesicht erkennt man sofort, dass er aus dem trockenen Norden und nicht von der tropischen Küste stammt, an der er seit 25 Jahren lebt. Maskierte, mit Macheten bewaffnete Männer hielten jedes Auto auf der Pistenstraße an, sagt Jean Safianou, der auf dem Höhepunkt der Gewalt im Dezember von einer Besorgungsfahrt aus der Hafenstadt San Pedro in sein Dorf Guiroutou zurückkehrte.
Jeder, den die Maskierten an den Straßensperren für einen aus Burkina Faso hielten, wurde aus dem Auto gezerrt und hingerichtet. „Es war furchtbar“, erinnert sich Jean Safianou. „Sie kannten kein Mitleid. Sie hatten schon in den Wochen zuvor unsere Felder und Höfe niedergebrannt.“ Er habe nur überlebt, weil er von Weißen, die sagten, er gehöre zu ihnen, im Auto mitgenommen wurde.
Was hat diese blutigen Konflikte ausgelöst? Jean Safianou sagt: Ein Ivoirer habe ein Stück Land an einen Mann aus Burkina Faso verkauft. Danach verließ dieser Mann das Dorf für einige Wochen. Als er zurückkehrte, war sein Stück Land ein zweites Mal verkauft worden – an einen zweiten Mann aus Burkina. Die beiden stellten den Ivoirer zur Rede, es kam zu einer Schlägerei, der Ivoirer starb. Darauf folgten die Unruhen.
Der Ivoirer Alain Bri Baoué, Dorfchef in Guiroutou, erinnert sich anders. Er sagt: Ein Mann aus Burkina bepflanzte ein Stück Land, das ihm nicht gehörte. Als der Besitzer, ein Ivoirer, ihn zur Rede stellte, erschoss der Mann aus Burkina ihn. Darauf folgten die Unruhen.
Wie es auch gewesen ist: Präsident Bédié ließ es geschehen. Er griff weder verbal noch aktiv ein. Ganz anders war es vor zweieinhalb Jahren, als etwas weiter nördlich ein Landstreit zwischen zwei ivoirischen Ethnien ausbrach, bei dem vier Menschen ums Leben kamen und 150 Gehöfte abbrannten. Damals schickte Bédié sofort das Militär in die Region. Alsbald ließ er sich selbst einfliegen. Die Parlamentsabgeordneten aus der Gegend mussten den roten Teppich säumen, über den der kleine runde Präsident zum Rednerpult stolzierte und verkündete: „Krieg regelt gar nichts. Man muss Frieden über den Dialog herstellen.“
Zum Dialog kam es nie.
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Laurent Gbagbo wundert sich darüber nicht. Der Präsidentschaftskandidat der sozialistischen Partei „Ivoirische Volksfront“ (FPI) hält nichts von Bédié und all den anderen Erben. Und von Houphouët-Boigny, dem Vater der Nation, schon gar nichts. Der unterdrückte bis zu seinem Tod 1993 andere Parteien außer seiner Einheitspartei PDCI (Demokratische Partei der Elfenbeinküste). „Die Einheitspartei war der Friede der Friedhöfe. Die Leute schwiegen, weil sie Angst hatten.“
Jetzt, nach dem Putsch, sieht der 56jährige Gbagbo die Stunde für einen politischen Umbruch gekommen. Und sein Garten ist die Schaltzentrale. Das geräumige Haus im gutbürgerlichen Stadtteil Cocody der Hauptstadt Abidjan ist über einen Rohbau nicht hinausgekommen. Seine Parteifunktionäre sitzen also bei feuchter Hitze im Garten in kleinen Gruppen auf weißen Plastikstühlen, es wird selbstgemachter Ingwersaft gereicht, und Laurent Gbagbo lässt sich ein Frotteehandtuch kommen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ein älterer Herr nimmt den Kandidaten beiseite, um ein Anliegen vorzutragen. Wieder keine Zeit für eine Mittagspause, stöhnen Gbagbos Berater. Dabei ist die den frankophonen Ivoirern eigentlich heilig.
Gbagbo setzt sich, zieht erwartungsfroh das Aufnahmegerät an sich heran und poltert auch schon los: „Die Europäer begreifen Afrika sowieso nicht, verstehen Sie mich? Die Europäer denken immer, man kann in Afrika nur über die Ethnien Politik machen. Das ist eine Beleidigung für ganz Afrika!“ Im Südwesten sei es um einen Landkonflikt gegangen, nicht um einen ethnischen. „Es ist einzig ein Problem der Landverteilung, meine Damen, und wir haben kein Gesetz, das die Landverteilung regelt.“
Das würde unter Gbagbo natürlich alles anders werden. Besser. Die Landwirtschaft, sagt er, muss intensiver werden. Statt Brandrodung sollen Dünger und Bewässerungssysteme eingeführt werden. Jedes Dorf soll Wasser und Strom bekommen, und wie in Europa – „Wir bewundern Willy Brandt sehr“ – soll es eine soziale Absicherung und vor allem eine gesetzliche Krankenversicherung geben. Wie alle Sozialdemokraten winkt Gbagbo beim Thema Finanzierung ab; durch Wirtschaftswachstum werde schon Geld in die Staatskasse fließen.
Seine politischen Freunde nicken und blicken auf die Uhr. Sie müssen zu einem Verhandlungstermin mit der Übergangsregierung. Bis zu den Präsidentschaftswahlen, die vermutlich Mitte des Jahres stattfinden werden, sollen das Wahlgesetz und Teile der Verfassung reformiert werden.
Seinen Konkurrenten Ouattara fürchtet Gbagbo nicht: „Die Ivoirer müssen zwischen einem wählen, der immer nur im Ausland unterwegs war, und einem, der das Land kennt. So ist das in der Demokratie!“
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