: Schröder und Simonis hart am Wind
Fünf Tage lang tourten Kanzler Schröder und Ministerpräsidentin Simonis durch Schleswig-Holstein. Siegessicher. Herausforderer Rühe von der Affären-geschwächten CDU ringt um Luft und Worte ■ Von Sven-Michael Veit
Hamburg (taz) – Die beiden sind siegessicher. Mit keiner Geste, keinem Wort lassen Gerhard Schröder und Heide Simonis Zweifel erkennen. Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidentin wollen, müssen und werden am 27. Februar in Schleswig-Holstein die erste Landtagswahl des neuen Jahrtausends gewinnen. Erstmals seit dem vorigen Sommer, das zeigen zwei am Mittwoch veröffentlichte Umfragen, liegt die SPD im nördlichsten Bundesland mit 43 Prozent knapp vor der CDU, und die jeweiligen potentiellen Koalitionspartner Grüne und FDP sind gleichauf bei sechs Prozent. Erstmals seit über einem halben Jahr wird Rot-Grün in Kiel eine realistische Chance prognostiziert, vier weitere Jahre zu regieren. „Die Stimmung kippt um“, frohlockt Simonis. Wer ihren Kampfgeist kennt, weiß, dass sie sich diesen Vorsprung auf der Zielgeraden nicht mehr nehmen lassen wird.
Von Sonntag bis gestern Abend tourten Simonis und Schröder kreuz und quer durchs Land zwischen Meeren, ohne Unterlass verfolgt von einem 40-köpfigen Journalistentross. Und der dokumentierte in Wort, Schrift und Bild eine geschickt inszenierte Kampagne zweier RegierungschefInnen, die das Wort Landtagswahl nicht in den Mund nehmen, die weder CDU noch Spenden, weder Kohl noch Schäuble noch gar Volker Rühe auch nur mit einer Silbe würdigen. Keine stimmenbuhlenden ParteipolitkerInnen sind hier unterwegs, sondern ein Staatsmann und eine Staatsfrau, denen das Wohl des Landes über alles geht.
Besichtigungen „innovativer Betriebe“ stehen auf ihrem Programm, Pharmaunternehmen, Telekommunikation und wissenschaftliche Institute. Zwischendurch kauft Schröder „als Privatmann“ in einer Lübecker Kunstgalerie drei Plastiken fürs Eigenheim und trifft sich mit Nobelpreisträger Günter Grass „zu einem rein privaten Besuch“. Und wenn das intellektuelle Wählerpotenzial solchermaßen befriedigt ist, gehen Schröder und Simonis an die Basis.
Am Mittwoch zum Beispiel auf die Betriebsversammlung der größten Werft des Landes, HDW, im Kieler Arbeiterstadtteil Gaarden. Im eigens aufgebauten Großraumzelt beweisen die Landeschefin und der Niedersachse der fast vollzählig versammelten 3.000-köpfigen Belegschaft, dass sie die Menschen an der Küste zu nehmen wissen. Da darf zunächst Schröders Verweis „auf die Bayern und die anderen da im Süden“ nicht fehlen, „die 16 Jahre lang bevorzugt wurden“ und die immer noch glaubten, Schleswig-Holsteiner würden sich ausschließlich von Fisch und Rüben ernähren. Wenn das Gejohle verhallt ist, wird der Kanzler staatsmännisch: „Schiffbau ist keine veraltete Industrie, sondern Hochtechnologie mit Zukunft, und das habt ihr gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen.“
Geradeaus und ohne sprachliche Verrenkungen erklärt er Weltpolitik und Globalisierung und dass die koreanischen Werften mit horrenden Subventionen „einen unfairen Wettbewerb mit Dumpingpreisen“ angezettelt hätten und dass deshalb „ihr und wir Spitzenqualität liefern müssen“. Genau deswegen haben die rot-grüne Bundesregierung und die gleichfarbige Landesregierung am Vormittag Wegweisendes beschlossen auf ihrer gemeinsamen Kabinettssitzung – „der allerersten überhaupt in einem Bundesland“, wie Heide Simonis später stolz anfügt, „und die fand in unserer Landeshauptstadt statt“. Mit einem Förderprogramm von 180 Millionen Mark soll die Zusammenarbeit von Werften, Universitäten und wissenschaftlichen Instituten in der Meeres- und Umwelttechnik vorangebracht werden, und damit, verspricht der Kanzler, „machen wir die Schifffahrt und den Schiffbau fit für das 21. Jahrhundert“.
Zur selben Stunde, da Schröder und Simonis bei der Basis im Festzelt Punkte sammeln, muss Schleswig-Holsteins CDU einräumen, dass ihr ehemaliger Landeschef Ottfried Hennig vor zwei Jahren 100.000 Mark von Helmut Kohl erhielt. Erstens cash und zweitens „als Person“. Simonis-Herausforderer Rühe, der monatelang wie der sichere Sieger aussah, ringt erneut um Luft und Worte. Längst ist sein Wahlkampf zu einer reinen Abwehrschlacht geworden.
Am Sonntagabend hatten sich Simonis und Schröder zum Wahlkampfauftakt im nagelneuen Kieler Fährterminal mit skandinavischer Prominenz umgeben. Die Ministerpräsidenten von Dänemark, Schweden und Finnland, allesamt netterweise Sozialdemokraten, hatten höchstselbst zur Wiederwahl der Regierungschefin aufgerufen. „Die haben hier im Wahlkampf doch nichts zu suchen“, hatte Rühe pikiert protestiert. Mehr fiel ihm nicht ein.
Morgen Abend wollte Rühe an selber Stelle eigentlich zum großen Gegenschlag ausholen: zu seiner Auftaktveranstaltung mit CDU-Chef Schäuble. Inzwischen fragen sich auch schleswig-holsteinische Christunionisten, was der hier noch zu suchen hat.
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