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■ Ein Land des absoluten Stillstands

betr.: „Für die Nationalisten in Bosnien wird es jetzt eng“, taz vom 10. 1. 99

Herrn Rathfelders Beschreibung der Situation in Bosnien kann ich insbesondere im Hinblick auf die Aktivitäten der kroatischen Nationalisten im Lande voll zustimmen!

Was ich in den letzten drei Wochen bei einem Aufenthalt in Zentralbosnien und Sarajevo erlebte, stimmt mich im Gegensatz zu Rathfelder in der Frage eines möglichen Niedergangs der Nationalisten jedoch weniger optimistisch: Bosnien ist – nicht zuletzt auf Grund der erwähnten Obstruktionspolitik seitens der bosnischen Kroaten und Serben, aber auch der wirtschaftspolitischen Inkompetenz der SDA-Führung – ein Land des absoluten Stillstandes, doch folgt daraus nicht zwingend ein politischer Wandel.

Die bosnischen Kroaten werden ihre starre Haltung (sprich HDZ-Gefolgschaft) nicht so schnell aufgeben und weiterhin alles dafür tun, gesamtstaatliche Institutionen zu blockieren. Und zu viele Hoffnungen auf Milorad Dodik, den Premier der bosnischen Serbenrepublik, zu setzen, erscheint mir angesichts der bisher äußerst mageren Ergebnisse seiner Amtszeit (Flüchtlingsrückkehr findet kaum statt!) gleichfalls unangebracht.

In der Serbenrepublik ist die Macht der Nationalisten noch immer groß genug, um einer Demokratisierung entgegenzuwirken. Im Übrigen hat sich auch die serbische Seite bisher meines Wissens nach erfolgreich gegen die Implementierung einheitlicher Zollorgane an den Außengrenzen des Landes gesperrt.

Die Bevölkerung in der „Republika Srpska“ ist stark bäuerlich strukturiert und sehr anfällig für nationalistische Denkweisen, ähnlich wie die Kroaten in der Herzegowina. Auf Seiten der Muslime ist durchaus mit Stimmenverlusten der regierenden SDA zu rechnen, aber es steht zu befürchten, dass diese nur in größeren Städten wie Sarajevo, Zenica oder Tuzla ins Gewicht fallen.

So obliegt es weiterhin vor allem der internationalen Staatengemeinschaft in Person des bisher exzellent agierenden Wolfgang Petritsch, entscheidende Weichenstellungen für Bosnien vorzunehmen. Zur Nagelprobe werden dabei Fragen der Flüchtlingsrückkehr: So darf man/frau gespannt darauf sein, ob wie vereinbart zum Beispiel tatsächlich bis August 2000 10.000 Bosniaken in die jetzt serbisch kontrollierte Region Prijedor beziehungsweise im Umkehrschluss 6.000 Serben in die muslimisch beherrschten Städte Kljuc und Sanski Most heimkehren können (siehe Oslobodjenje vom 11. 1. 2000).

Wolfgang Schmitt, Karlsruhe

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