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Nur ein paar Gläser Wodka mit dem Vize Mielkes

■ Was vor zehn Jahren beim Sturm auf die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg genau geschah, ist bis heute umstritten. War das Ganze etwa bloß ein „Plünderungstheater“?

Er ist ein legendenumrankter Mythos geworden: der Sturm auf die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg. Am vergangenen Samstag jährte sich das epochale Ereignis zum zehnten Mal. Aber was damals überhaupt geschah, ist bis heute umstritten.

Klar ist: Tausende stürzten damals durch das Zentrum der staatlichen Überwachung der DDR an der Normannenstraße, durchstöberten einige der etwa 40 Häuser des Geheimdienst-Mekkas und machten mit Randale und Plünderei ihrer Wut über die ewige Spitzelei, die endlich vorbei war, Luft. Aber war das Ganze etwa von der Stasi selbst inszeniert? Nutzte die Institution – vom letzten SED-Ministerpräsidenten Hans Modrow in „Nasi“ (Amt für Nationale Sicherheit) umbenannt – die Gunst der Stunde, um die letzten Akten vernichten zu können, wie eine der vielen Vermutungen von Bürgerrechtlern später lautete?

Ralf Drescher hält dies zumindest für möglich. Der heute 40 Jahre alte Bildjournalist gehörte zu den Ersten, die am Abend des 15. Januar durch das Tor in die Stasi-Zentrale stürmten. Er machte Fotos von der Erstürmung. Wie vielen fiel ihm damals sofort auf, dass die Tore der Zentrale von innen aufgemacht wurden: Waren es Stasi-Leute selbst oder Bürgerrechtler, die schon am Vormittag in den Komplex eingedrungen waren?

Die Bürgerrechtler, Entsandte der Bürgerkomitees der DDR-Bezirke, waren mit dem Militärstaatsanwalt in das eigentliche Machtzentrum des Arbeiter- und Bauernstaates eingerückt und verhandelten mit den verbliebenen Stasi-Oberen über die Übergabe des Dienstes an die Bürgerbewegung. Eine These geht davon aus, dass sie die Tore öffnen ließen, da sie fürchteten, manche könnten sich in der drängenden Masse vor dem Eingang verletzen.

Drescher jedenfalls fand es im Nachhinein seltsam, dass die Menschenmenge offenbar unbewusst in einem Art Herdentrieb irgendwelchen Leuten folgte, die der bürgerbewegte Berliner heute als „ortskundige Führer“ bezeichnet: Der Zug der Demonstranten machte einen für ihn damals schon schwer erklärlichen Bogen und gelangte in dem Stasi-Komplex nicht direkt zum „Haus 1“, wo Oberspitzel Erich Mielke seinen Dienstsitz hatte – sondern ins Haus 18. „Da war wenig Geheimnisvolles“, erinnert sich Drescher: Es war das Dienstleistungszentrum des Komplexes samt Friseur und Buchladen, aber ohne die heißen Akten, die die die Demonstranten eigentlich suchten.

An ein großes, von Modrow inszeniertes „Plünderungstheater“ glaubt auch Wolfgang Templin, einer der prominentesten Bürgerrechtler der damaligen Zeit. Er erinnert sich in einer demnächst erscheinenden Broschüre der „Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße“ daran, wie er durch Zufall über wenig frequentierte Gänge urplötzlich in das eigentliche Herz des Komplexes kam. Dort wartete ein freundlicher, ruhiger Herr: Heinz Engelhardt, Stasi-General und Vize Mielkes. Er soll etwas gesagt haben wie: „Es ist ja nett, dass Sie kommen.“ Hatte er alles inszeniert? Engelhardt jedenfalls bat Templin und den Bürgerrechtler Carlo Jordan zu sich ins Büro. Und trank mit ihnen – völlig gelassen – ein paar Gläser Wodka. Philipp Gessler

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