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Leinwand im Tunnel

Das Sprengel Museum Hannover zeigt den Bildhauer Donald Judd als Minimalisten, der sich auch für einen guten Harley-Davidson-Lack begeistern konnte ■ Von Harald Fricke

Frank Stella wusste es am besten. Für ihn bedeutete Minimal-Art, die Farbe auf der Leinwand „so gut zu belassen, wie sie im Eimer war“. Das ist keine einfache Aufgabe – jeder, der einmal sein Zimmer gestrichen hat, kennt das Problem. Am Ende sieht selbst simples Weiß an der Decke schäbig aus. Für den New Yorker Maler lag die Sache noch anders: Als er 1964 in einem Radiointerview mit seinem Statement auf die Frage nach dem Stellenwert von Kunst der Sechzigerjahre antwortete, wurde seine Malerei bereits unter „New Nihilism or New Art?“ verbucht. Damals galten schon Warhols Siebdrucke von Suppendosen als salonfähig im Vergleich zu Stellas schwarzem Nichts.

Donald Judd hingegen fielen die Antworten nicht so leicht, als er im selben Interview auf seine „Boxes“ angesprochen wurde. Der Bildhauer hatte sich gerade erst von der Malerei verabschiedet und musste nun über seine Skulpturen aus rot angestrichenem Sperrholz oder Aluminium räsonieren. Entsprechend mürrisch fielen Judds Kommentare aus: Zeitgenössische Kunst war für ihn vor allem Abkehr von der europäischen Moderne, mit der „es vorbei war“. Schließlich lagen Konstruktivismus und Bauhaus so weit zurück, „dass man darüber nicht mehr nachzudenken brauche“ – auch wenn Judds lackierte Kästen und Kuben ganz offensichtlich von der Farblehre Joseph Albers' beeinflusst waren. Immerhin aber unterrichtete auch der deutsche Bauhaus-Lehrer seit seiner Flucht 1933 vor den Nazis in Amerika, weit weg von Europa, in einer neuen Zeit.

Was immer Judd damals mit seinem Bekenntnis zum Anti-Europäismus an Streit lostreten wollte, viel hat es ihm nicht genützt. Wenn man heute im Sprengel Museum Hannover den ersten Ausstellungsraum der Judd-Retrospektive betritt, springen einen mit jeder Skulptur allerlei malerische Effekte an, die sich hübsch in die Tradition vom Impressionismus über Matisse bis hin zu Mondrians Farbfeldkompositionen reihen lassen. Für eine karmesinrote Box aus dem Jahr 1968 wurde eine aufmontierte Stahlröhre noch mal silbergrau übertüncht, um das Metall stärker nach Metall aussehen zu lassen. Das ist mehr eine Marotte nach Art von Gerhard Richter, aber wenig hohe Schule des Minimalismus made in USA. Am Ende hat es Judd selbst zugegeben und in einem Vortrag von 1993 erklärt, wie sehr er doch an den Arbeiten von Brancusi oder Arp ihre Ganzheit bewundert. Und überhaupt: „Das letzte wirkliche Bild einer wirklichen Welt wurde von Courbet gemalt.“ Aber wie wirklich ist danach Judds Minimal-Art, die dem fratzenhaften Illusionismus eine kalte, industrielle Gegenwärtigkeit aus den Materialien des Alltags entgegensetzen sollte? Und wozu die Aufregung um deutsche Meistermaler wie Baselitz und Kiefer, denen Judd 1989 beim „Bilderstreit“ nicht kommentarlos als Steigbügelhalter dienen wollte und deshalb seine Teilnahme an der Ausstellung absagte?

Offenbar gibt es Klärungsbedarf. Zumal sich nach dem frühen Tod des 66-jährigen Judd 1994 jede Menge junge Künstler auf Minimalismus berufen, wenn sie Bankgebäude und Investorencenter mit bunten Dekobausteinen einrichten. Dabei kommt es natürlich ganz gelegen, dass Judd bis zu seinem Ende selber Möbel entwarf – minimal, versteht sich. Insofern ist die von Dietmar Elger kuratierte Ausstellung mit dem zielstrebigen Titel „Farbe“ eine unaufgeregte Auseinandersetzung mit dem Werk und zugleich Revision historischer Konflikte. Wo Judds sockellos auf den Boden gestellte Arbeiten dem Betrachter verdeutlichen sollten, dass er sich nicht in einem imaginären Raum der Kunst, sondern praktisch auf Augenhöhe zum Gegenstand bewegt, interessiert sich Elger für das Spiel mit der Verführung, für den Schein und das Schillern der Oberflächen. Plötzlich funkelt eine weintraubenblau mit Plexiglas ausgekleidete Aluminiumschachtel von innen wie ein magischer Tunnel, dessen Seitenwände im Sog der leuchtenden Farbe verschwinden: Die Box ist nurmehr ein dunkel strahlendes Loch – eine Hülle, eine Leinwand. Dabei hatte Judd stets großen Wert darauf gelegt, dass die Farbe seiner Skulpturen gerade die Klarheit der geometrischen Kontur hervorheben sollte.

Das Ergebnis in Hannover sieht jedenfalls anders aus. Tatsächlich gibt es hier massenhaft Belege für Judds Liebe zu illusionistischen Räumen: Reliefartige Kisten sind exakt nach der monochromen Flächenmalerei eines Barnett Newman konstruiert; dann wieder überwiegt der Fetischismus, wenn Judd für eine Arbeit unbedingt ganz bestimmte Farbtöne benötigte – zum Beispiel die Lackierung einer 57er Harley-Davidson. Zuletzt spiegeln sich zehn übereinander gestapelte und mit Plexiglas eingefasste „stacks“ von 1993 endlos auf ihren glänzend polierten Kupferböden. Die nüchterne Präsenz der Objekte verliert sich im raffinierten Allover aus gebrochenem Licht. Die Wirkung dominiert über die Wahrnehmung. Der „real space“ bleibt zwar erhalten, bekommt aber durch den Überschwang im Umgang mit malerischen Techniken gewaltige Schlagschatten. Wenn Elger im Katalog von Vielschichtigkeit und vom „zelebrierten Riss“ in den vormals als Ding-an-sich gefeierten „specific objects“ schreibt, ist das auch ein Triumph über die Old-School-Verfechter des Minimalismus.

Vermutlich liegt es auch an der Auswahl der Werke. Mit anderen Objekten, etwa denen aus der Bremer Weserburg-Sammlung, hätte man Judd weiterhin als Puristen darstellen können. Hannover zeigt ihn zumindest auf der Höhe der Zeit: Wer sonst konnte 1985 Aluminium-Elemente in den Modefarben der Saison kombinieren? Der New-Wave-Chic bei Judd kommt in Yves Saint Laurents Schwarz, Weiß und Rouge daher. Das hat allerdings Stil.Donald Judd: „Farbe“. Bis 30. 4. im Sprengel Museum Hannover. Ein begleitender Katalog mit Texten von William C. Agee, Dietmar Egler und Donald Judd (132 Seiten, 40 Mark) ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.

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