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Stippvisite im ehelichen Tollhaus

■ Der schmale Grat zwischen Mordsspaß und Bierernst: Isabel Schröders Blick auf Oliver Bukowskis „Inszenierung eines Kusses“ im Altonaer Theater macht Lust auf mehr

„Je verarmter, je versteppter der eigene Gefühlshaushalt, desto perverser die Veranstaltung, um sich einen Moment lebendig zu fühlen.“ So ein Zitat des Dramatikers Oliver Bukowski im Programmheft zu Inszenierung eines Kusses. Das bereits 1992 in Potsdam uraufgeführte Zweitwerk des geborenen Cottbussers feierte nun auf der Foyerbühne des Altonaer Theaters in der Regie von Isabel Schröder Hamburg-Premiere und gab damit zugleich den Startschuss für die Reihe „Best of Bukowski“.

Das übergreifende Thema ist unsere Erlebnisgesellschaft, in der selbst das Trostlose kein Recht mehr auf seine Trostlosigkeit hat. So ist beispielsweise derzeit derjenige mit seinem bratensaftgeschwängerten Burger am zufriedensten, der sich gleichzeitig zum Extrem-Sparing aufrafft. Da hält man es schon besser wie die durchschnittlich erfolgreiche Mitdreißigerin Lisa in Bukowskis Stück: Ihren Wunsch, „irgendwas fressen jetzt“, befriedigt sie schlicht mit einem Popel. Lebendiger fühlt sie sich trotzdem nicht.

Gut, dass es Conrad gibt. Conrad (Ulrich Gall) ist eine der beängstigend unauffällig-elegant auftretenden Erscheinungen, bei denen schon direkt unter dem Anzug der Abgrund anfängt. Conrad und Lisa sind bereits zehn Jahre zusammen, und alles in ihrem Leben wabert gemächlich die Plus-Minus-Null- Markierung entlang. Zum Jubiläum braucht es also etwas Action. Die wiederum bieten die von Conrad engagierten Penner A (Harald Weiler), B (Andreas Bittl) und C (Matthias Panthel). Was Conrad bislang entgangen ist: Die Stadtstreicher spannern täglich in Lisas Wohnung. Das zu allen Seiten offene Marmorpodest in Himmelbettform nebst Spiegeldecke in der Mitte der Foyerbühne (Ausstattung: Hans Winkler) suggeriert die Option, sich zu jeder Zeit wenigstens optisch einen Kick verschaffen zu können.

Doch durch Conrads Auftrag kommen die Penner noch auf den richtigen Hochspannungstrip. Nach einem ernsten oder auch nur inszenierten Vergewaltigungsversuch Conrads stürmen die drei Lisas Wohnung und spielen sich als Wohltäter auf. Je exzessiver gesoffen, gefressen und gebadet wird, desto mehr verwischt die Grenze zwischen Fantasie und Realität, zwischen Mordsspaß und Bierernst.

Schröders Inszenierung überzeugt mit ihrer Stippvisite im Tollhaus: Nach dem vergleichsweise sinnfreien Gequatsche von A, B und C im ersten Teil gewinnt das Stück im zweiten Teil merklich an Fahrt, sobald Meike Harten als hys-terisch-enthemmte Lisa auf den Plan tritt. Am Schluss ist dann alles extrem kostspielig und zügellos gewesen. Doch die Menschen sind längst wieder auf dem Weg in ihre altbekannte Endlosschleife, bis irgendwann der Tod eintritt. Und bevor sich Conrad und Lisa endlich den Kuss geben, der inszeniert werden sollte, gehen auch schon die Lichter aus. Liv Heidbüchel

weitere Aufführungen: 21., 22., 25. bis 28. Januar sowie im Februar, Altonaer Theater, Foyerbühne, Tel.: 399 05-869/870

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