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Ein Prost auf die Vergangenheit

In den Berliner Eckkneipen vertrocknet der Zapfhahn. Die Jugend steht auf Erlebnisgastronomie,den ehemaligen Stammkunden fehlt das Geld fürs tägliche Pils ■ Von Annette Rollmann

Die junge Frau Schöbs, Mitte dreißig, steht in Strickjacke hinter dem Tresen, die Arme vor dem Bauch verschränkt. Sie spricht nur wenig, selten zapft sie ein Bier. Ihre Stammgäste heben wie immer ihr Pils, nun schon seit 30 Jahren. Nur einer ist neu in der Runde, er kommt seit 10 Jahren. „Früher war es hier immer so lustig“, erinnert sich Schöbs. Sie verwaltet nur noch die Vergangenheit: Die Berliner Eckkneipe stirbt aus.

Die Destille der Familie Schöbs im nördlichen Prenzlauer Berg, im früheren Ostteil der Stadt, dort, wo es nicht schick und teuer ist, wird das Kneipier-Ehepaar „früher oder später“ aufgeben müssen. Als Schöbs’ Schwiegereltern die Bierschwemme 1951 öffneten, lief die Destille gut. Für 51 Pfennig tranken die Nachbarn dort ihr Pils. Gaststätte Schöbs war Treffpunkt im Kiez. 1989 führte hier Ibrahim Böhme erste Gespräche zur Gründung der Ost-SPD.

„Früher standen die Leute hier drei Reihen hinter dem Tresen“, erzählt ein Renter in Imitatlederjacke. Der ehemalige Kalkulator sitzt hier dreimal in der Woche bei „meinen Kumpels, mit denen man sich sehr ordentlich unterhalten kann“. Dreimal ist viel. Die meisten Stammgäste seien „entweder weggestorben“ oder könnten sich das 0,2-Liter-Pils zu 1,50 Mark nicht mehr leisten. Schöbs wiederum kann kaum noch die Miete von 3.000 Mark für die 100 Quadratmeter aufbringen. „Urlaub habe ich seit 1994 nicht mehr gemacht“, sagt die Wirtin. Ihre fahle Haut ist gezeichnet von den langen Stunden im Schummerlicht. „Wenn man früher betrunken war, hat einen die Polizei unter den Arm genommen und vor der Haustür abgesetzt. Heute sperren sie dich ein“, schwadroniert ein Frührentner und kippt eine Molle mit Korn. Für die Stammkunden ist das Schöbs ihr Wohnzimmer. Dort sind sie nicht allein.

Eckkneipen waren immer Kiezkneipen. Sie hatten stets auch eine soziale Funktion, waren Treffpunkt für die Arbeiter nach getaner Maloche und Zufluchtsort bei Arbeitslosigkeit. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg lebten viele Menschen in engen und bisweilen kalten Wohnungen. In den Destillen konnten sie in den Rausch fliehen. 1905 gab es 9.341 Bierkneipen in Berlin. Davon waren „831 für die obere, und 8.510 für die untere Klasse“, heißt es in einer Stadtchronik.

Den Rausch ersehnen sich die Kneipengänger immer noch. Doch die meisten Gäste wollen ein Ambiente mit hellen, frohen Farben und gutem Essen. Dass hat auch das Wirtsehepaar aus dem armen Westberliner Bezirk Wedding begriffen, das namentlich nicht genannt werden will. Sie bieten in ihrer Eckkneipe Dartsabende und Treffen des lokalen Fußballvereins, um die stark geschrumpfte Stammkundschaft zu halten. Dennoch ist der Gastraum kaum gefüllt. „Früher gab es ordentliche deutsche Bockwurstbuden, und heute gehen die Leute zu den Türken, die diesen Dreck wie Döner verkaufen“, schimpft der korpulente Wirt über die Ausländer, die sich in Wedding angeblich immer breiter machen. Ab acht Uhr abends schließt er die Tür der Destille ab, lässt die Rolläden herunter. Nur auf Klopfzeichen kann die Kundschaft dann noch eintreten. „Wir fürchten Überfälle von Ausländern“, sagt der Wirt beschwörend und greift dann einer überraschten Kundin an die Brust: „Reden will ich nicht. Sondern mit Ihnen ins Bett.“ Dröhnendes Gelächter der wenigen Umstehenden. „Hier geht es rau zu“, hatte ein Gast zuvor gesagt.

Anders ist der Ton etwas weiter stadtauswärts im Goldenen Anker. Hier bemüht sich Rolf Scheffler um „gepflegte Gastronomie“. Der Ostdeutsche hat die Eckkneipe, in der es in den Sechzigerjahren noch Pferdefleisch zu essen gab, 1990 gekauft und zu einem Restaurant umgebaut. Heute müsse man die „Leute immer neu anreizen“, glaubt der Mann in Anzug und mit Careragoldbrille und serviert nun den Nachbarn aus der Hochhaussiedlung Rinderbraten in Curaçaosoße und Leber mit Papaya und Mango.

Doch trotz akkurat gebügelter Tischdecken kämpft auch der Goldene Anker ums Überleben. Es gebe in der Gegend zu viele Arbeitslose und vom Boombezirk Mitte sei sein Geschäft zu weit entfernt, erklärt der Wirt. Zudem lägen die Fassbierpreise schon ein Drittel über den Literpreisen von Flaschenbier. Trotzdem hoffe er, das Ruder herumzureißen, sagt Scheffler entschlossen. „Man muss mit der Zeit gehen, sonst geht es nicht.“ Demnächst offeriert er „Schweinebraten spanischer Art“. Scheffler: „Die Leute werden begeistert sein. Sie bekommen traditionellen Schweinebraten und etwas Neues dazu.“

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