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Das große Fressen

■ Kaum hat AOL Time Warner geschluckt, schluckt AOL Time Warner auch schon die Plattenfirma EMI. Der neue Unterhaltungskonzern ist einmalig in der Tonträgerindustrie

Berlin (taz) – Früher war es so, dass die Großen die Kleinen fraßen – heutzutage fressen die Großen die etwas weniger Großen. Mit der britischen EMI Group erwirbt der taufrische US-amerikanische Medienmulti AOL Time Warner den immerhin weltweit drittgrößten Musikanbieter, dessen ehrwürdige Tradition bis ins Jahr 1897 zurückreicht.

Überraschend kommt die Übernahme allerdings nicht. Gerüchte, die neben Time Warner auch Bertelsmann als potenziellen Interessenten handelten, kursierten bereits seit einiger Zeit und erwiesen sich als äußerst hartnäckig: Gestern noch dementierte die Bertelsmann AG einen Bericht des Daily Telegraph, wonach sie mit einem konkurrierenden Angebot von mehr als 20 Milliarden Mark die Fusion noch zu verhindern trachte. Dennoch dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, so lange Bertels-Mann Thomas Middelhoff für seinen Konzern weiterhin die Führungsposition im internationalen Wettbewerb beansprucht, und sei es auch nur als Planziel.

Weltweit nur noch vier wichtige Musikkonzerne

Im Musikgeschäft gehören Übernahmen, freundliche wie unfreundliche, längst zur Tagesordnung. Anders als beispielsweise in der Automobilindustrie begann das große Fressen in der Unterhaltungsbranche bereits in den Achtzigerjahren. 1986 übernahm Bertelsmann die amerikanische Traditionsmarke RCA, ein Jahr später ging CBS in den Besitz von Sony über. Den vorläufigen Höhepunkt des Fusionsfiebers markierte 1998 die Übernahme der niederländischen Polygram-Gruppe durch den kanadischen Getränkekonzern Seagram, der seitdem unter dem zuvor akquirierten Markennamen Universal zu den so genannten Global Players zählt. Mit der Elefantenhochzeit von Time Warner und EMI reduziert sich das Feld der übrigen weltweit agierenden Musikkonzerne nun auf drei Mitspieler: Sony Music, die Bertelsmann-Tochter BMG sowie Seagram/Universal.

Als derzeitige Nummer eins rechnet Warner/EMI mit einem Umsatz von 16 Milliarden Mark und fusionsbedingten Einsparungen von jährlich 1,6 Milliarden, was der durchschnittliche Musikkonsument zunächst kaum zu spüren bekommen dürfte.

Wenn aber immer weniger Anbieter einen stetig wachsenden Markt gütlich unter sich aufteilen, so wird sich der fehlende Konkurrenzdruck nachhaltig auf den konkreten CD-Preis auswirken: Die einst vom Bundesverband der phonographischen Wirtschaft definierte Schallmauer von 50 Mark für eine Einzel-CD könnte bei anhaltender Fusionswut schneller durchbrochen werden, als es dem Käufer lieb wäre. Dabei zählt die beschichtete Silberscheibe womöglich bald zum alten Eisen, denn immer mehr Musikhörer wollen und können sich den Gang zum Händler sparen und laden sich stattdessen die Musik im MP3-Format aus dem Internet. Daher äußert sich auch Peter Zombik, geschäftsführender Vorsitzender des Phono-Verbands, vorsichtig zurückhaltend: „Wir haben schlicht keine Ahnung, welche Auswirkungen diese Fusion auf den Plattenmarkt hat und wollen hier auch nicht im Nebel stochern“, sagte er gegenüber der taz, „im Online-Markt jedenfalls erwarten wir schon gravierende Änderungen.“

Eine Aussteuer von Pink Floyd bis zu den Spice Girls

Tatsächlich spielt das Online-Shopping per Computer, sprich: „music on demand“, eine immer gravierendere Rolle. Dass sich der Ton vom Träger löst, lässt sich vor allem aus den Zahlen ersehen, die die Tonträgerindustrie veröffentlicht. Demnach geht der Absatz der Klangkonserven kontinuierlich zurück, vom Höchststand 1997 mit 276 Millionen auf 270 Millionen verkaufte Platten in darauf folgenden Jahr – einen Schaden von etwa 20 Millionen Markt bilanzierte verdrossen der Verband.

Mit dem Time-Warner-Aufkäufer AOL und der EMI-Erwerbung Launch Media ist der neue Großkonzern nicht nur rechtzeitig auf den Zug gesprungen, sondern hat einen ganz eigenen Zug auf die Schienen gehievt. Die Weichen sind gestellt, die Ausgangsposition ist blendend: AOL betreut 22 Millionen Online-Kunden, Launch Media stellt zudem Musikvideos und Produktinfos ins Netz, und EMI engagierte sich durch einen Lizenzvertrag mit dem Internet-Musikunternehmen musicmaker.com relativ früh im neuen Markt. Alles aus einer Hand, von der Produktion bis hin zum zeitgemäßen Vertrieb, doch auch im Software-Bereich macht die Fusion Sinn: Warner bringt kommerziell einträgliche Acts wie Madonna, Phil Collins, Eric Clapton und Alanis Morissette in die Ehe ein. Zur Aussteuer der Briten zählen die Rolling Stones, Robbie Williams, die Spice Girls und nicht zuletzt die ehrwürdigen Beatles.

64 Plattenlabels waren zuletzt unter dem Dach der EMI vereint, darunter so renommierte Firmen wie Virgin, Electrola, Capitol oder das legendäre Jazzlabel Blue Note. AOL Time Warner steuert mit WEA, Eastwest, Elektra, Sire und Atlantic ebenfalls etablierte Companys bei – eine stolze Flotte, die jeden Musikgeschmack bedient.

Bei einem so massiven Staraufgebot muss nun auch die Konkurrenz auf Brautschau gehen: Die Gerüchteküche brodelt jedenfalls, Bertelsmann, Disney, Seagram und auch Rupert Murdoch können sich demzufolge gut vorstellen, demnächst ein „Sony Music“ im Nachnamen zu führen.

Uwe Schleifenbaum

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