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Eine Mütze Wünsche

■ Die Sehnsucht gilt immer der anderen Hälfte der Orange: Der belgische Choreograf Wim Vandekeybus und seine Gruppe Ultima Vez beim Tanzwinter im Hebbel-Theater

Sie kommen aus Finnland, Algerien, Belgien und Schweden, sie haben zwischen Auftritten in Moskau, Tokio, Lissabon und Brüssel geprobt. Vielleicht sind die zehn Männer, die Wim Vandekeybus in seinem Stück „In Spite of Wishing and Wanting“ durch einen Regen von Daunenfedern über die Bühne jagt, nur im Schlaf und im Traum zu Hause.

Dorthin jedenfalls schickt sie der Choreograf, um den Beginn der Reise durch das Wünschen zu markieren. „Gerade an der Schwelle zum Schlaf“, meint er, „nehmen die tiefsten Wünsche Gestalt an.“ Da finden Seele und Körper zusammen, da beginnt er seine Untersuchung über verschiedene Zustände des Seins.

Für spektakuläre Aktionen wurde Vandekeybus Ende der Achtzigerjahre berühmt. Mit Steinen warfen die Tänzer in „What The Body Does Not Remember“. Sie sprangen und balancierten auf instabilen Türmen aus Paletten, unter ihnen explodierten Tongefäße. Sie stürzten, fielen und kugelten über den Boden knapp unter den Füßen der übrigen Compagnie. „Damals habe ich die instinktiven Reaktionen gesucht“, sagt Vandekeybus über die Akte der Gefährdung. „Doch dann wurden seelische Verfassungen und Emotionen wichtiger, zärtliche und zerbrechliche Momente neben den physischen Aktionen.“

1993 tanzte zum ersten Mal der blinde Tänzer Said Gharbi mit. In dem Stück „Her Body Doesn't Fit Her Soul“ wechselte man mit ihm in der Vorstellung von der Außenseite der Bewegung nach innen. Man sah nicht mehr nur, man fühlte das Heftige und das Ungewisse.

Vandekeybus kam nicht über den Tanz zur Choreografie, sondern als Bildermacher, der zuvor als Schauspieler für Jan Fabre und als Fotograf gearbeitet hatte. Er gilt als Sammler, der auch aus Literatur, Sprache, Film, Erzählungen von Freunden und Improvisationen der Tänzer und Schauspieler seine Stücke baut. Für „In Spite of Wishing and Wanting“ hat David Byrne die Musik komponiert. Byrne, zuerst nur um zwei Songs gebeten, sah frühe Proben und Improvisationen und bot eine Komposition an.

„In Spite of Wishing and Wanting“ erzählt in verschiedenen Sprachen Geschichten, die von Schlafenden handeln, von Blinden, vor allem aber von der Vorstellung, was mit dem Körper nach dem Tod passiert. Der Tod und die Angst vor dem Vergehen bildeten schon immer den Gegenpart der forcierten Energieschübe. Das ist wie im Kinderspiel, wo man sich zuerst die große Furcht und den Menschenfresser ausdenkt und dann die Rettung durch den Ritter.

Schon oft hat der belgische Choreograf seine Tanzstücke mit Filmen unterbrochen. In den beiden Filmen, die nach bizarren Erzählungen des argentinischen Autors Julio Cortázar zu „In Spite of Wishing and Wanting“ gehören, reibt er sich an der Bildermacht von Buñuel und Pasolini. So tritt in dem einen der Filme ein Verkäufer von Schreien auf, dem ein Tyrann seine letzten Worte abhandeln will. Weil diese unverkäuflich sind, wird er hingerichtet. Der abgehackte Kopf aber redet weiter. Das Überdrehte und Grausame dieser Bildsprache erinnert an den belgischen Maler James Ensor.

Den Punkt zu suchen, der nicht käuflich ist, hat etwas mit der Hoffnung auf die Integrität des Körpers zu tun.

In einer Zeit, in der das Phantom der Austauschbarkeit des Körpers und einzelner seiner Teile immer greifbarer wird, strapaziert ihn Vandekeybus, um sich seiner zu vergewissern. Selbst die Stimmen treibt er in physische Extreme. „In Spite of Wishing and Wanting“ ist nur mit Männern besetzt. Damit hoffte Vandekeybus Klischeebildern des Begehrens zu entgehen, die zwischen den Geschlechtern immer schnell sexuell besetzt sind.

Seine Tänzer und Schauspieler müssen den männlichen und den mütterlichen Part übernehmen. Sie schneiden Obst und halten die Teile aneinander auf der Suche nach der anderen Hälfte der Orange. Ein spanisches Sprichwort hat Vandekeybus zu diesem Bild des Ungenügens seiner selbst angeregt: „Die Sehnsucht gilt immer der anderen Hälfte der Orange.“

Katrin Bettina Müller

Vom 27. bis 29. 1. ab 20 Uhr im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg

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