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Fragen Sie nie nach der Dienstnummer!

■ Sonderbehandlung durch die Bremer Polizei: In der Silvesternacht wurde ein 21jähriger Abiturient nach eigenen Angaben auf der Polizeiwache an der Sandstraße krankenhausreif geschlagen / Polizei und Staatsanwaltschaft nehmen bisher keine Stellung

Die Millenniums-Nacht auf der Domsheide wird Tim Koehne sein Leben lang nicht vergessen. Als er mit einer großen Gruppe Jugendlicher kurz vor Mitternacht in der Innenstadt anlangte, sah er noch normal aus – einen Joint hatte er geraucht, fünf Bier und zwei Bacardi/Cola getrunken. Sechs Stunden später, die er in der Polizeiwache Sandstraße und Wache 6 (Polizeihaus) verbrachte, war er von Schlägen gezeichnet (siehe Fotos). Drei Tage verbrachte er daraufhin im Krankenhaus. Ärzte attestierten ihm später Würgemale am Hals, ein geplatzten Trommelfell, Einblutungen in den Augenhöhlen, einen Haarriss am rechten Wangenknochen und eine Schädelbasisfraktur. Was war geschehen?

Mit einem Jungen aus der Gruppe war der schmächtige Abiturient (1,69 groß, 54 Kilo schwer) in Streit geraten, den Freunde zu schlichten versuchten. Plötzlich wurde er von hinten gegriffen, berichtet er. Dann habe er einen Aufprall gespürt und wurde halb bewusstlos von Polizisten weggetragen und zur Wache Sandstraße gebracht. Dort begann die Tortur.

Als er darum bat, die festanliegenden Handschellen zu lockern, sagte ein Polizist: „Halt's Maul“ und schlug ihm heftig in die Hüftgegend, erinnert sich der 21-Jährige. Als er nach der Dienstnummer verlangte, schlug der Beamte ihm ins Gesicht. Tim bekam Panik und versuchte sich „zu schützen, indem ich wild um mich schlug“. Zwei Polizisten hielten ihn daraufhin fest und schlugen ihm mit Fäusten ins Gesicht, bis er bewußtlos wurde.

Als er wieder zu sich kam, spürte er unter anderem einen pochenden Schmerz am Hinterkopf. Erneut verlangte Tim die Dienstnummern. Auf eine Krawatte eines Beamten anspielend fragte Tim: „Bist du Mickey Mouse?“ Mehrere Faustschläge „aus allen Richtungen“ trafen Tim im Gesicht. Nach weiteren Schlägen und mit großen Erinnerungslücken fand er sich in einer Zelle wieder. Er sah einen Arzt und mehrere Beamte und bekam erneut eine Panikattacke. Er wurde auf dem Boden fixiert. „Plötzlich befand sich ein sehr stabiler Strick um meinen Hals, der mir die Luftzufuhr aufs massivste abschnürte“. Er spürte, dass die Wunde an seinem Hinterkopf behandelt wurde, bevor er erneut das Bewußtsein verlor. Gegen Morgen – am 1.1. hat Tim Geburtstag – erwachte er und wurde freigelassen.

Freunde von Tim bestätigen seine Darstellungen. Durch das Fenster der Wache beobachtete ein Freund, wie Tim von zwei Beamten „mehrfach so gestoßen und geschüttelt wurde, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Wand schlug“. Bei Tims Verlegung von der Sandstraße in die Wache 6 hätte man ihn getragen, der Kopf habe auf dem Boden aufgeschlagen, berichten mehrere Freunde.

Die Polizei wollte gegenüber der taz keine Angaben machen und verwies an die Staatsanwaltschaft, weil Tim längst Anzeige erstattet hat. Doch auch die Staatsanwaltschaft kann angeblich zu dem Vorgang nichts sagen. Tim erhielt eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, zwei wegen Körperverletzung und eine, weil bei ihm 0,1 Gramm Hasch gefunden wurden. Christoph Dowe

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